Schmetterlingsgespräche

Mein Freund und ich verbringen die Abende mit uns allein im Wohnzimmer. Meist drehen sich die Gespräche um seine Frauengeschichten. Wenn uns der Gesprächsstoff ausgeht, warten wir mit Kaffee und Zigaretten auf das Mitternachtsgespenst. Ich werfe ihm einen verstohlenen Blick zu. Sein blasses Gesicht bestätigt meinen Verdacht. Er ist das Gespenst im eigenen Haus.

Manchmal fühle er sich haltlos, gesteht mein Freund. Er sei sein Leben lang eine Raupe gewesen. Nun würde er frei wie ein Schmetterling durch das Leben schweben. <Aus einer Raupe, die über fünfzig ist.>, schlüpft kein junger Schmetterling, mahne ich ihn zur Vorsicht. Was ich damit meine, stellt er mich zur Rede. Ich schweige ihn an. Er kennt die Antwort. Seit einem Jahr flattert er von einer Frau zur nächsten wie ein Schmetterling auf einer Blumenwiese. Es tut ihm nicht gut. Er schläft zu wenig. Die Falten in seinem Gesicht mehren sich.

Mein Freund zieht eine Miene wie ein beleidigter Zitronenfalter. Seine stechenden Augen erinnern mich daran, dass aus dem Flügelschlag eines Schmetterlings ein Sturm aufziehen kann. Vorsichtshalber rücke ich ein Stück von ihm weg.

Mein Freund ist kein Dummkopf. Für Frühlingsblumen sei er zu spät geschlüpft, zeigt er sich einsichtig. Auch so manche Herbstzeitlose würde eine schöne Blüte tragen, versuche ich, ihn aufzuheitern.

Mein Freund steht wortlos auf und wirft die Tür hinter sich ins Schloss. Wenn er mit sich hadert, läuft er in den Keller zu seinem Schneewittchenspiegel. <Bin ich schön.>, fragt er ihn. Er würde keinen Schöneren sehen, zeigt sich der Spiegel gnädig mit ihm.

Während seiner Abwesenheit räume ich die Küche auf. Mit einem Lächeln im Gesicht taucht mein Freund wieder im Wohnzimmer auf. Seine Laune hat sich gebessert. Der Schneewittchenspiegel wirkt Wunder an ihm.

Mein Freund weiß, dass es keine Blumenwiese gibt. Der Schmetterling in seinem Kopf flattert durch einen wilden Dschungel. Die meisten Blüten, auf denen er landet, vergiften ihn. Es gibt auch keinen Schneewittchenspiegel im Keller. Er existiert nur in seiner Vorstellung. Er leidet immer noch am Gift der letzten Blüte. Der Dschungel kennt keine Gnade.

Er habe ihr zum Geburtstag gratuliert, bricht es aus ihm heraus. Irgendwann sehen wir uns wieder, hat sie zurückgeschrieben. <Irgendwann klingt wie gestern.>, erwidere ich. Er blickt mich ratlos an. <Gestern gibt es nicht mehr.>, sage ich.

Die Uhr über der Wohnzimmertür schlägt Mitternacht. Wir rauchen noch eine Zigarette auf der Terrasse. Der Himmel über uns ist sternenklar. Mein Freund blickt in den Garten wie auf einen Friedhof. Er trauert einer verlorenen Blüte nach. <Verwelkte Blumen gehören auf den Mist.>, sage ich. Mein Freund zuckt mit den Schultern. Der Schmetterling in ihm ist müde.

<Irgendwann kommt die Richtige.<, tröste ich ihn. <Irgendwann klingt wie gestern.>, lacht er und blickt zu den Sternen hoch. Dann drückt er die Zigarette im Aschenbecher aus und spreizt seine Flügel.