
Der Bär und der Drache erzählt keine Tiergeschichte. Sie schildert die Begegnung von zwei Menschen, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Bären und Drachen lassen sich in vielen Varianten finden. Im Alter. In der Hautfarbe. In der Religion. In der Nationalität. In der Sprache. Mit großer Wahrscheinlichkeit trifft jeder einmal in seinem Leben auf einen Bären oder Drachen, der ihn dazu zwingt, eine Entscheidung zu treffen. Und niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, welchen Verlauf eine solche Begegnung nimmt.
Die Straße führte von Osten nach Westen. Aus einer Richtung der Straße näherte sich ein Drache. Aus der anderen ein Bär. Wäre der Drache nicht für einen kurzen Moment stehen geblieben. Hätte der Bär nicht im selben Augenblick hoch geblickt. Sie hätten einander nie bemerkt und wären als Fremde aneinander vorbeigegangen. Aber weil der Drache stehen blieb und der Bär hoch blickte, sind sie sich begegnet.
Der Drache lächelte. Aus seinem Mund züngelte eine kleine Flamme. Der Bär wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. <Mein Name ist Bär.>, begann er das Gespräch.<Aber ich ziehe es vor, Teddy genannt zu werden.> Der Drache lächelte. Der Bär sah nicht gerade furchterregend aus.<Ich heiße Drache.>, sagte der Drache. Er konnte nicht verleugnen, ein Drache zu sein. Die Flamme, die aus seinem Mund züngelte, strich gefährlich an das Fell des Bären heran. <Wir könnten versuchen, Freunde zu werden.>, sagte der Bär. Der Drache schwieg, um nicht gestehen zu müssen, dass er noch nie mit einem Bären befreundet gewesen ist. <Ich spucke Feuer.>, gestand er. <Ich gehe leicht in Flammen auf.>, lachte der Bär und deutete auf seinen dichten Pelz.
Dann öffnete er seine Tasche und reichte dem Drachen seine Wasserflasche. Der Drache trank einen Schluck daraus. Die Flamme, die aus seinem Mund züngelte, erlosch. Der Bär schüttete sich den Rest des Wassers über sein Fell, bis es nass glänzte.<So könnte es funktionieren.>, lachte der Drache.
Sie beschlossen, gemeinsam eine Rast einzulegen. Unter einem hellen Mond verbrachten sie die Nacht miteinander. Der Drache spuckte kein Feuer. Und der Bär ging nicht in Flammen auf.
Als die Morgendämmerung anbrach, erhob sich der Drache. <Ich muss jetzt weiterziehen.>, sagte er. <Werden wir uns wieder begegnen?>, fragte der Bär. Der Drache blickte zum Horizont, wo die Sonne langsam am Himmel hoch stieg. <Meine Geschäfte führen mich nach Osten.>, antwortete er. Der Bär blickte nach Westen, wo man ihn erwartete. <Die Welt ist rund.>, tröstete ihn der Drache. <Wer lange genug nach Westen wandert, kehrt aus dem Osten zurück.>
Beim Abschied umarmten sie sich. Der Bär hatte es plötzlich eilig. Mit schnellen Schritten lief er davon. <Wohin gehst du?>, rief ihm der Drache hinterher. Der Bär drehte sich noch einmal um. In seinen Augen glänzte ein Funke. <Ich suche die Kreuzung, an der wir uns wieder begegnen.>, antwortete er. Dann verschwand er hinter der Biegung der Straße, die ihn nach Westen führte.