
Ich treffe meinen Freund im Badezimmer an. Er poliert sein Gesicht mit dem Rasierer. Sein Parfüm schwebt in der Luft. Ich tippe auf Tamara. Mein Freund wiegelt ab. Er würde seinen Großvater besuchen. Verwundert mustere ich ihn von oben bis unten. Für einen Friedhofsbesuch scheint er mir etwas fein herausgeputzt. Sein Großvater ist vor vierzig Jahren gestorben.
Er habe sich dort mit einer Frau verabredet, klärt er mich auf. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Mein Freund ist immer für Überraschungen gut. Ein Rendezvous auf dem Friedhof ist etwas Neues.
Sie heißt Manuela. Ich muss einige Namen verpasst haben. Er ist mit dem Alphabet schon durch. Die Buchstabenfolge läuft wieder rückwärts. Er zeigt mir ihr Bild. Eine schöne Frau lächelt mir im roten Kleid entgegen. Sie trägt ihr Haar dunkel.
<Mal dieses, mal jenes.>, lacht mein Freund und tanzt aus dem Badezimmer. In der Küche holt er eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und packt sie mit zwei Gläser in einen Rucksack. Ein Picknick auf dem Friedhof halte ich für eine erste Begegnung riskant. Badesee wäre besser, lache ich. Ein Ort, an dem die Menschen auf der Wiese und nicht unter der Erde liegen, erscheint mehr Erfolg zu versprechen. <Es ist November.>, knurrt mein Freund zurück.
Ich halte ihm einen Vortrag über die Lieblingsplätze der Frauen. Sie spazieren gern an einem Fluss entlang. Sie schätzen es, in ein Restaurant ausgeführt zu werden. Die Stille eines Friedhofs zählt definitiv nicht dazu.
Mein Freund hört widerwillig zu. <Die meisten Frauen bevorzugen in der Liebe das Unentschiedene.>, sage ich. Ein Friedhofsbesuch würde ihnen zu weit in die Zukunft greifen.
Beleidigt schaltet mein Freund auf stur. Er schultert seinen Rucksack und zischt zur Tür. Ich öffne den Gläserschrank und drücke ihm ein drittes Weinglas in die Hand. Sein Großvater soll nicht auf dem Trockenen bleiben. Mein Freund lächelt versöhnt. <Er hat gern getrunken.>, sagt er. Dann verschwindet er nach draußen.
Abends begegnen wir uns wieder im Badezimmer. Ich überfalle ihn mit meiner Neugier. Anstelle einer Antwort zieht mein Freund die leere Flasche und die Gläser aus dem Rucksack. Ein Glas fehlt. Er habe es bei seinem Großvater zurückgelassen, erzählt er. Wenn es regnet, könne er sich mit einem Schluck daraus trösten.
Das Schicksal seines Großvaters hat meinen Freund nachdenklich gestimmt. Die umliegenden Gräber seien inzwischen aufgelassen worden, sinniert er. Das Grab seines Großvaters rage einsam im Gräberfeld hoch. Man kann auch im Tod Single sein.
Ich wechsle das Thema, um meinen Freund auf andere Gedanken zu bringen. <Wie ist es Manuela gelaufen?>, brennt es mir auf der Zunge. Seine ernste Miene wechselt in ein breites Lachen. Er wird sie wiedersehen. Ich freue mich für ihn.
Beim Zähneputzen kommen mir plötzlich Zweifel. Ich lasse sie unausgesprochen. Ich will meinem Freund nicht den Schlaf rauben. Eine Liebe beginnt nicht auf dem Friedhof, denke ich, während ich den Mund ausspüle. Meist endet sie dort.