
Es heißt, Freunde kann man sich aussuchen. Meine eigene Erfahrung widerspricht dem. Den besten Freund kann man nicht frei wählen. Man kriegt ihn wie ein Paket zugestellt. Ob man ihn leiden kann, spielt keine Rolle. Wenn man ihm in die Augen blickt, ist es zu spät. Man wird ihn ein Leben lang nicht mehr los.
Ich erinnere mich noch gut an die erste Begegnung mit ihm. Es war kein erfreuliches Aufeinandertreffen. Es passierte in einem Schaufenster. Er blickte mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht an. Misstrauisch beäugte ich ihn von Kopf bis Fuß. Ich kann nicht behaupten, dass er mir gefiel.
Den besten Freund stellte ich mir anders vor. Ein verwegener Kerl sollte es sein. Ein Mann, dem die Mädchenherzen zuflogen. Ein Held, der die Welt verändert. Er entsprach überhaupt nicht diesem Bild. Nichts an ihm war auffallend. Er trug ein Allerweltsgesicht. Er war nur einer unter vielen. Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, mit ihm bekannt zu werden. Ein flüchtiges Lächeln war alles, das ich für ihn übrig hatte. Man hatte mir Manieren beigebracht. Dann wandte ich mich wieder dem Anzug im Schaufenster zu.
Als ich weiter ging, blieb er an mir kleben. Ich wechselte die Straßenseite. Er war immer noch da. Ich machte kehrt und versuchte, von ihm wegzulaufen. Er stellte er sich mir in den Weg. Ich hatte keine Wahl mehr. Ich blieb stehen und blickte ihm in die Augen.
<Hallo.>, sagte er. Der vertraute Ton in seiner Stimme ärgerte mich. Der Kerl tat, als würden wir uns bereits seit Jahren kennen. <Ich habe es eilig.>, knurrte ich zurück. Er lachte. <Schön, dass wir uns endlich kennenlernen.>, sagte er. <Nein.>, sagte ich. Sie verwechseln mich.
<Alle stellen sich beim ersten Mal so an.>, sagte er. <Am Ende gewöhnen sie sich daran.> Ich schüttelte den Kopf. Ich würde mich niemals an dieses Gesicht gewöhnen. Mit einem schnellen Schritt versuchte ich, ihn abzuschütteln. Zwei Straßen weiter war er immer noch da. <Lassen Sie mich in Frieden.>, bellte ich ihn an. Er hob beschwichtigend die Arme. <Tut mir leid.>, sagte er. <Wir werden uns wiedersehen.> Dann verschwand er. Ich atmete erleichtert auf.
Zwei Tage später traf ich ihn wieder. Er ließ sich beim Friseur die Haare schneiden. Sein Seitenscheitel jagte mir einen Schrecken ein. <Was soll es für ein Schnitt sein.>, fragte mich der Friseur. <Dauerwelle.>, traf ich kurzentschlossen meine Wahl. Auf der Straße folgte er mir erneut. Er hatte seine Frisur geändert. Mit den Locken sah er geradezu lächerlich aus.
Die Begegnungen wiederholten sich. Bald traf ich ihn jeden Tag. Nie vergesse ich den Schrecken, als er im Badezimmer vor mir stand. Er lachte mich aus dem Spiegel an. Seine Dauerlocken sahen immer noch beschissen aus. Verzweifelt schmiss ich ihm die Bürste und den Rasierer an den Kopf. Geduldig steckte er meine Schläge ein. Mir war zum Heulen. Ich ahnte es damals schon. Ich hatte meinen besten Freund gefunden. Und er würde mir ein Leben lang nicht mehr von der Seite weichen.