
Es ist nicht ungewöhnlich, in einsamen Nächten seine Gedanken mit dem Mond zu teilen. Es erscheint auch nicht seltsam, am Ufer eines Sees zu stehen und sein Spiegelbild im Wasser zu sehen. Aber was geschieht, wenn der Mond plötzlich auf die Fragen antwortet, die man ihm stellt? Und sich auf der Oberfläche des Sees etwas spiegelt, das man lange verloren glaubte.
Wer sich hinter dem Schatten verbarg, der sich nach Mitternacht am Ufer eines Sees mit dem Mond unterhielt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Sein Geheimnis bleibt ungelüftet. Unzählige kommen dafür in Frage. Denn der Mond hört jedem zu, der seine Stimme an ihn richtet.
Manche Spaziergänger glauben, sich an die schmalen Umrisse eines Mädchens zu erinnern. Andere Nachtschwärmer wollen das scharfe Profil eines Mannes im Mondlicht erkannt haben. Ebenso lassen sich keine Rückschlüsse auf Alter und Herkunft ziehen. Die Dunkelheit kennt kein Alter und keine Hautfarbe. <Ich habe die Liebe meines Lebens verloren.>, klagte eine Stimme dem Mond. <Das ist traurig.>, antwortete der Mond. <Ich bin oft enttäuscht worden.>, zog die Stimme eine bittere Bilanz. <Die Liebe ist ein Rad, das sich von oben nach unten und von unten nach oben dreht.>, tröstete der Mond die Stimme. <Ich glaube nicht mehr daran.>, seufzte die Stimme.
Solchen Geschichten hatte der Mond schon oft gelauscht. Meist blieb er ein stummer Zuhörer. Was ihn bewog, in dieser Nacht zu antworten, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht rührte ihn die Traurigkeit der Stimme. Vielleicht war es bloß eine Laune, der er nachgab.
Es wurde ein langes Gespräch. Der Schatten öffnete dem Mond seine Seele. Mit flüsternder Stimme vertraute er ihm seine Geheimnisse an. Der Mond, der nachts durch alle Fenster blickte, wusste für jeden Schmerz einen Trost. Langsam mischte sich eine Hoffnung in den klagenden Ton. Als alles zwischen ihnen gesagt war, bewegte sich keine Wolke am Himmel. Der Mond bat einen Stern, hell über dem See zu strahlen. Dann forderte er den Schatten auf, über einen Steg zu gehen, der weit in den See hineinführte. <Wenn du an seinem Ende in das Wasser blickst, wirst du finden, was dir verloren scheint.>, sagte er.
Der See ruhte still in seinem Schlaf. Kein Rauschen erfüllte die Nacht. Keine Welle schlug ans Ufer. Der dunkle Schatten löste sich vom Ufer. Langsam bewegte er sich über den Steg. An seinem Ende verharrte er. Lange beugte er sich über das Wasser.
<Im See spiegelt sich nur mein eigenes Bild.>, sagte die Stimme. Die Enttäuschung darüber war nicht zu überhören. <Dann hast du die Liebe deines Lebens endlich gefunden.>, antwortete der Mond. <Ich bin es selbst.>, zeigte sich die Stimme überrascht. <Wer sollte es sonst sein?>, sagte der Mond und zog sich hinter eine Nebelwand, die über dem See aufstieg, zurück.