
Auf der Welt herrscht Krieg. Es spielt keine Rolle, welcher Krieg gemeint ist. Es gilt in allen die gleiche Regel. Die Bühne der Macht liebt keine unbequemen Zwischenrufe. Schon gar nicht will sie beim Abendessen gestört werden.
Es macht auch keinen Unterschied, auf welcher Seite die Soldaten gekämpft haben, wenn sie tot im Graben liegen. Ihr Leid und der Schmerz, den sie verursachen, haben eines gemein. Sie töten und sterben für die Sache der Mächtigen.
Zur Zeit der napoleonischen Feldzüge war es nicht anders. Der Preis, den der Soldat mit seinem Mut bezahlte, als der die Wahrheit aussprach, wäre auch heute hoch. Der große französische Feldherr hatte es geschafft, Moskau abzufackeln. Am Ende machte sich die Brandstiftung für ihn wenig bezahlt. Der russische Bär zeigte sein dickes Fell und schlug den Franzosen samt seinem Heer in die Flucht. Auf dem Rückzug beschloss ein Franzosengeneral, der seinem rückweichenden Heer vorauseilte, in einem Dorf sein Nachtlager aufzuschlagen. Eilig wurde das beste Haus für den ungebetenen Besuch beschlagnahmt.
Während seine Truppen mit abgefrorenen Gliedmaßen der russischen Übermacht ausgeliefert blieben, saß der General mit seiner Entourage in wohliger Wärme beim Abendessen. Als er seine Suppe aus feinstem Porzellan löffelte, begehrte ein gemeiner Soldat Einlass. Erstaunt blickte der General auf die zerlumpte Gestalt, die sich an seinen Tisch heran wagte. Die Uniform des Soldaten war zu Fetzen zerrissen. Als Schutz vor der Kälte trug er einen aus einem Kartoffelsack zurecht geschnittenen Umhang.
<Mon General.>, stammelte der Soldat. <Die Russen überrennen unsere Linien. Ihre Gewehre schießen bei eisiger Kälte, während unsere Waffen versagen. Sie tragen warme Pelze, während wir in dünnen Mänteln erfrieren.>
Der General stand wortlos auf und ging ans Fenster. Minutenlang blickte er in die Finsternis hinaus, hinter der sich die endlose russische Steppe verbarg. <Der Mann muss sich täuschen.>, wandte er sich an den Soldaten. <Ich höre kein Schießen. Ich sehe keine russische Armee . Und die französische Uniform ist warm genug für den Kampf.> Dabei zog er seinen Generalsrock zurecht, als wollte er beweisen, dass er mit gutem Beispiel vorausging. Der Soldat nahm seinen ganzen Mut zusammen.
<Mon General.>, sagte er. <Sie können das Schießen nicht hören, weil die Front hinter dem Hügel liegt. Sie können die Russen nicht sehen, weil es Nacht ist. Und Sie spüren die Kälte nicht, weil in diesem Zimmer ein Feuer brennt.>
Die Miene des Generals erstarrte. Ohne den Soldaten eines Blickes zu würdigen, wies er das Wachpersonal, an, ihn nach draußen zu bringen. Noch in derselben Nacht wurde der Soldat wegen Fahnenflucht standrechtlich erschossen.
Als die russischen Truppen am Nachmittag des nächsten Tages das Dorf einnahmen, war der General mit seiner Begleitung bereits Hals über Kopf geflohen. Sein französisches Porzellan hatte er am Küchentisch zurückgelassen.