Die Geschichte vom Opa – Teil 4

Mein Opa war ein friedfertiger Mensch. Aber sein Leben verlief keineswegs unblutig. Die Landwirtschaft, die er mit seiner Frau führte, verlangte ihren Blutzoll. Mein Opa legte nicht selbst Hand an. Aber er wusste, welches Schicksal, die Schweine, Hühner und Hasen erwartete, die er täglich fütterte. Es blieb ihm keine andere Wahl. Es waren andere Zeiten. Wer Fleisch essen wollte, musste es sich von den Tieren holen, die lebendig im Stall standen.

Den blutigsten Teil seines Lebens verbrachte mein Opa im Krieg. Er haderte nicht wie andere damit, in einem verlorenen Krieg gekämpft zu haben. Vielmehr litt er darunter, was der Lärm der Maschinengewehre aus den Menschen machte.

<Der Krieg weckt ein Tier in den Menschen auf.>, sagte er. <Wenn es einmal Blut geleckt hat , lässt es sich nicht mehr stoppen.>

Ich habe meinen Opa nie gefragt, in welcher Einheit er gedient hat und welcher Blutspur er gefolgt ist. Er redete selten über diesen Teil seines Lebens. Einmal erzählte er von einem russischen Scharfschützen. Zwei seiner Kameraden lagen mit Kopfschüssen tot am Boden, bevor ihn mein Opa in einem Obstbaum ausspähte und das Maschinengewehrfeuer auf ihn lenkte. Die Augen meines Opas glänzten nass, als er davon sprach, wie das Blut des Scharfschützen in kirschgroßen Tropfen aus dem Baum fiel. Das Tier wütete ohne Pardon auf beiden Seiten.

Ich war zehn Jahre alt, als mein Opa mir einen schmierigen Lappen in seinem Werkzeugkoffer zeigte. Als ich ihn aufschlug, kam eine Pistole zum Vorschein.

<Es ist eine Walther PPK.>, erklärte mir mein Opa. >Sie hat es verdient an einem heiligen Ort aufbewahrt zu werden. Sie hat die Welt von der blutrünstigsten Bestien aller Zeiten befreit.>

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was seine Worte bedeuteten. Für mich ging ein Bubentraum in Erfüllung, als ich mit den Fingern über das ölglänzende Metall strich. Meine gierigen Blicke ließen meinen Opa erschrecken. Wortlos schlug er den Lappen zu und setzte mich vor die Tür. Ich durfte nie wieder einen Fuß in seine Werkstatt setzen. Vielleicht hatte er das Tier in meinen Augen blitzen gesehen.

Mein Opa war nie ein großer Kirchgänger gewesen. Aber er spazierte oft zu einer kleinen Kapelle am Rand des Dorfes. Dort sah man ihn stundenlang auf einer Bank sitzen.

Ich war zwölf Jahre alt, als sich mein Opa bei einem Unfall das Genick brach. Noch am Tag seines Begräbnisses habe ich heimlich seine Werkzeugkiste durchsucht. Zu meiner Enttäuschung war die Pistole daraus verschwunden.

Als man Jahre später die kleine Kapelle sanierte, stießen die Handwerker in einer Nische auf ein seltsames Bündel. Es wurde im Ort viel über den Inhalt geflüstert. Aber niemand sprach offen darüber. Ich wusste als einziger Bescheid. Mein Opa hatte sich seinen Wunsch erfüllt.

Erst im Geschichtsunterricht habe ich erfahren, welche Bedeutung die Pistole für ihn hatte. Am 30. April 1945 biss Adolf Hitler auf eine Giftkapsel und schoss sich mit einer Walter PPK in den Kopf.