
Mein Freund verfolgt die Nachrichten im Fernsehen. Ich blättere den Sportteil der Zeitung durch. <Indianerspiele werden verboten.>, sagt er. Ich blicke deprimiert zu ihm hoch. Meine Fußballmannschaft hat verloren. <Was ist passiert?>, frage ich, während die Begeisterung für meinen Lieblingsverein leidet. Er ist Tabellenletzter.
Mein Freund klärt mich auf. Bei einem Konzert wurde ein Musiker von der Bühne gepfiffen, weil er als Indianer aufgetreten ist, ohne einer zu sein. <Wahrscheinlich hat er schlecht gespielt.>, mutmaße ich. Das sei ohne Bedeutung, verteidigt mein Freund die Pfiffe. Man habe den Indianern viel Unrecht angetan. Daher dürfe sich niemand mit ihrer Kultur schmücken, der kein Indianer ist. Das falle quasi unter Kunstraub. Ich höre ihm mit einem Ohr zu. Die Niederlage sitzt mir immer noch in den Knochen.
Ich vergesse den Fußball und wechsle zum Kulturteil der Zeitung. Mir sticht ein Artikel ins Auge. Er handelt von einem Buch über Indianer, das eingestampft wird, weil es von einem geschrieben wurde, der kein Indianer war. Seltsamer Zufall, denke ich.
<Man hat den Indianern alles weggenommen.>, erhebt sich mein Freund zu ihrem Fürsprecher. Ihr Land. Ihre Geschichte. Ihre Zukunft. Nun würde man ihnen das Letzte stehlen, das von ihnen übrig ist, pflichte ich ihm bei. Mein Freund blickt mich mit fragenden Augen an. <Die Erinnerung an sie.>, sage ich.
Ich lese ihm den Zeitungsbericht vor. <Es sind nicht ihre Geschichten.>, widerspricht mein Freund. <Auch dann nicht, wenn der Indianer in dem Buch ein guter Mensch ist.> Seine Begründung klingt stichhaltig. Wie soll ein Schriftsteller, der kein Indianer ist, wissen können, ob ein Indianer gut oder schlecht ist. Vielleicht sollte man überhaupt aufhören, über Indianer zu schreiben und nachzudenken, kommt es mir in den Sinn. Dann können sie nicht mehr ausgebeutet werden.
Mich plagt plötzlich die Erinnerung an vergangene Faschingsfeste. Als Kind wollte ich immer ein Indianer sein. Ich war der tapferste aller Krieger. Stolz trug ich meine Kriegsbemalung zur Schau. An meinem Gürtel baumelte der Skalp meines schlimmsten Feindes. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass der Lippenstift meiner Mutter und die Kopfhaut eines alten Teddybärs die Indianer beleidigt hat. Mein Freund mustert mich abfällig. Ich sei einem Klischee auf den Leim gegangen, straft er mich ab. Schuldbewusst senke ich meinen Blick. Ich werde es nie wieder tun, gebe ich ihm mein Indianerehrenwort.
Ein furchtbarer Gedanke überfällt mich. <Ist es noch erlaubt, mit einem Indianer Blutsbruderschaft zu schließen?>, frage ich meinen Freund. Er legt seine Stirn in Falten. <Darüber hat noch niemand nachgedacht.>, sagt er. <Es werden die Falschen darüber nachdenken.>, seufze ich.
Sicherheitshalber beschließe ich, in Zukunft zu träumen, wenn mich die Lust überfällt, ein Indianer zu sein. <Warum?>, fragt mein Freund. <Weil Träume niemand verbieten kann.>, sage ich und schließe meine Augen vor ihm.