
Mein Freund und ich leben unter einem Dach zusammen. Am Morgen führt mich mein erster Weg zu ihm. <Du siehst zerknittert aus.>, begrüßt er mich im Badezimmer. Ich blicke ihn verschlafen an. Eine Schönheitsdusche täte ihm auch gut. Wir waschen uns. Wir rasieren uns. Wir sehen uns schweigend an. Dann trennen sich unsere Wege.
Tagsüber bekommen wir uns selten zu sehen. Ich fahre ins Büro. Er bleibt im Haus. Manchmal treibt er sich allein durch die Stadt. Dann winkt er mir aus einem Schaufenster entgegen. Ich nicke ihm verstohlen zu. Er lächelt zurück. Es bleiben flüchtige Begegnungen. Niemand weiß, dass wir uns gefunden haben.
Die Abende verbringen wir gemeinsam. Wir teilen uns den Haushalt. Er ist der bessere Koch. Ich räume die Küche auf. Nach dem Essen sitzen wir auf dem Sofa und zappen uns durch das Fernsehprogramm. Er liebt Thriller. Wenn er einschläft, schalte ich auf eine Doku um. So vergehen die Tage. Wir reden. Wir lachen. Wir streiten. Wir versöhnen uns. Wir teilen alles und verbergen nichts. Bis auf eines. Mein Freund schläft im Badezimmer. Das Bett gehört mir alleine. Ich teile es nicht gern mit einem Kerl.
Manchmal bekomme ich Besuch. Dann überfällt er mich am Morgen im Badezimmer mit einem Augenzwinkern. <Sie war schon unter der Dusche.>, zwinkert er mir frech in die Augen. Ich ziehe ein saures Gesicht. Sein fettes Grinsen gefällt mir nicht.
Die Frauengeschichten meines Freundes interessieren mich nicht. Ich weiß nicht, was er nachts alleine treibt. Bei ihm ist es anders. Er weiß von allen. Mir bleibt keine Wahl. Ich habe nur ein Bad im Haus. Wenn sie bei ihm sind, rumort es in meinem Kopf. Vor ihm zeigen sie sich ungeniert. Sie lassen ihre Hüllen fallen. Sie kämmen und schminken sich. Sie zeigen sich ihm von allen Seiten. Denn sie wissen nichts von ihm.
Er sei ein Gentleman, beruhigt mich mein Freund, wenn ich ihn zur Rede stelle. Ich glaube ihm kein Wort. Mein Ärger ist echt. Ich teile nicht gerne, was ich liebe. Er würde bloß ihre Augen sehen, mimt er das Unschuldslamm. Seine Handbewegung ist eindeutig. Spanner, schleudere ich ihm wütend entgegen.
Meinen Freund lassen die Vorwürfe kalt. Er mag die Frauen, wie sie kommen. Wir scheinen den gleichen Geschmack zu teilen. Gute Wahl, gratuliert er mir bei jeder, die im Spiegel auftaucht. Dunkel oder blond ist ihm egal. Mal dieses, mal jenes, gibt er sich unentschieden.
Wenn sie mich verlassen, besuchen sie ihn ein letztes Mal. <Schade, dass du gehst.>, flüstert er ihnen leise zu. Sie hören ihn nicht. Sie sehen ihn nicht. Schweigend packen sie die Zahnbürste und die Kämme in den Koffer. Mein Freund blickt sie traurig an. Sein Schmerz ist nicht gespielt. Er leidet bei jedem Abschied mit mir.
Abends taucht er in meinem Wohnzimmer auf. Er tröstet mich. <Ich suche eine, die bleibt.>, seufze ich. <Wir sollten den Schneewittchenspiegel ins Badezimmer hängen.>, sagt er. <Warum?>, frage ich. <Dann weiß sie, dass sie die Schönste ist für Dich.>, sagt mein Freund.