
Beim Blick in den Spiegel trifft mich fast der Schlag. Ein Glatzkopf starrt mich mit großen Augen an. <Was ist mit dir passiert?>, stöhne ich gequält. Mein Freund fährt sich mit der Hand über seinen rasierten Schädel. <Es ist ein Versuch.>, antwortet er lakonisch.
Ich spüre, wie mir der Hals dick wird. Mit Mühe unterdrücke ich die Lust, ihm an die Gurgel zu springen. <Wie konntest du mir das antun?>, schreie ich ihn im Spiegel an. Meine Wut findet kein Gehör. Gelassen zupft sich mein Freund ein übriggebliebenes Haar von seinem rasierten Schädel.
Ich stecke ihm die Zahnbürste in den Mund, um sein dämliches Grinsen nicht länger ertragen zu müssen. Das Bild im Spiegel ähnelt einem lollilutschenden Fernsehkommissar aus einer alten Krimisersie. In meinen Gedärmen rumort es. Wenn er eine Sonnenbrille aufsetzt, bringe ich ihn auf der Stelle um. Angewidert drehe ich ihm den Rücken zu. Unsere seltsame Männer-WG scheint kein Ende finden zu wollen. Zumindest solange nicht, bis er wieder Haare auf dem Kopf hat.
Meine Augen richten sich auf die alte Wanne, in der er seine Nächte verbringt. Ungläubig starre ich auf die Blondine, die sich darin räkelt.
Sie habe sich im ersten Sturmlauf ergeben, dröhnt mir das Siegesgeheul meines Freundes in den Ohren. <Glatze zieht an.>, kostet er seinen Triumph aus. Der Morgen werde ihr wohl die Augen öffnen, brülle ich ihm meine Verzweiflung ins Gesicht.
Die Blondine heißt Bettina. Schamlos steigt sie aus der Wanne. Sie würdigt mich keines Blickes. Wortlos verlasse ich das Bad. Ich habe keine Lust, dem turtelnden Paar weiter Gesellschaft zu leisten. Die Reise meines Freundes durch das Alphabet dauert schon zu lange, um noch Interesse an den Buchstaben zu haben.
Nach zwei Wochen finde ich die Wanne am Morgen leer vor. Von Bettina fehlt jede Spur. Lediglich ihre elektrische Zahnbürste erinnert noch an sie. Die Verlassenschaften meines Freundes mehren sich. Als wollten ihn die vergessenen Dinge mit ihrem Anblick leiden lassen.
Mein Freund suhlt sich in der Verzweiflung des Verlassenen. Er hätte sich mehr um sie kümmern müssen, übt er sich in Selbstgeißelung. Ich habe keinen Trost für die Glatze im Spiegel übrig. Tatortreiniger werden nicht für ihr Mitgefühl bezahlt. <Was machen wir mit ihrer Zahnbürste?>, frage ich kühl. Mein Freund wirft einen weinerlichen Blick darauf. <Wir bringen sie in den Fundus.>, seufzt er.
Der Fundus befindet sich in dem Raum gegenüber seinem Badezimmer. Der herabgelassene Rollladen verleiht ihm die Düsternis einer Gruft. Beim Betreten sticht mir eine Stehlampe ins Auge. <Da hat jemand ein großes Licht zurückgelassen.>, staune ich. <Sie hat den Stecker gezogen, ohne zu ahnen, wie dunkel die Nächte für sie sein werden.>, antwortet mein Freund. Ich blicke den Glatzkopf von der Seite an. Sein kalter Ton kann mich nicht täuschen. Es gilt auch für ihn.
Die offene Tür lockt Dana an. Zielgenau steuert der Stubentiger durch meine Beine auf ein verwaistes T-Shirt zu. Irgendwie zählt auch er zu den vergessenen Dingen. Seine persische Besitzerin hat ihn bei der überstürzten Abreise im Wohnzimmer zurückgelassen.
Eine weiße Bluse erweckt mein Interesse. Sie gehöre einer Streunerin, sagt mein Freund. Er erinnere sich gern an sie. Der Schlaf sei wunderbar mit ihr gewesen. Aber sie würde keinen Beobachter an ihrer Seite ertragen.
Mein Freund zieht eine schwarze Weste vom Haken. Die Farbe erinnere ihn an ein zauberhaftes Wesen mit dunklen Haaren. Aber ihre Ankündigung, ihn eines Tages zu verletzen, habe er nicht ausgehalten.
Ich schlage ein Buch auf. Ich warte auf Dich, steht handgeschrieben auf der ersten Seite. Sie hätte ihn auf Händen getragen, stellt es mein Freund wieder ins Regal. Aber er habe sie wohl zu lange warten lassen.
In einer Schublade entdecke ich einen Ring. Seine Steine funkeln im Licht. <Für wen ist er?>, frage ich. <Für die Richtige von ihnen.>, antwortet mein Freund ohne zu zögern. Diese Hoffnung trägt ihn durchs Leben.
Dana scheint sie schon gefunden zu haben. Hingebungsvoll rollt er sein Fell über das vergessene T-Shirt. <Er träumt sich seine Prinzessin zurück.>, lache ich. <Das Morgenland liegt zu weit im Osten, um sie wiederzufinden.>, sinniert mein Freund. Er hat recht, fühle ich den Schmerz von Dana mit. Manchmal bleibt keine andere Wahl, als die Dinge loszulassen.
Der Blick in den seltsamen Fundus meines Freundes stimmt mich nachdenklich. Meine Wut über seine Glatze kühlt langsam ab. <Du solltest dir die Haare wieder wachsen lassen.“, zeige ich mich versöhnlich. <Warum?>, fragt er. <Damit dich die Richtige erkennt.>, antworte ich. <Nur für den Fall, dass sie eines Tages etwas Vergessenes abholen kommt.>
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