Die Geschichte von der Oma Teil 1

Der Tod hat lange auf die Oma warten müssen. Sie ist fast 100 Jahre alt geworden. Bis zum Schluss ist sie ein wacher Geist geblieben. Bis zuletzt hat sie gekocht und die Zeitung gelesen. Den Tod hat sie nie mögen. Weil er oft an ihrem Tisch gesessen hat. Weil er ihr sechs Söhne und eine Tochter weggenommen hat. Die Oma hat dem Tod nie klein beigegeben. Sie hat viel gestritten mit ihm. Von einem Mann hat sich die Oma nie etwas vorschreiben lassen. Schon gar nicht, wenn er ihr nicht gefallen hat. Und der Tod war kein schöner Mann für sie.

Die Oma hat vom Leben einen großen Teller bekommen. Vieles hat der Oma nicht geschmeckt. Manche Bissen sind ihr im Hals stecken geblieben. Der Krieg, der ihr den ersten Mann zerfetzt hat. Die Armut der Nachkriegszeit, wo selten genug zum Essen auf dem Tisch stand. Der Verlust ihrer Kinder, der ihr das Herz gebrochen hat. Aber sie hat den Teller, den ihr das Leben hingestellt hat, leer gegessen. Zu ihren Lebzeiten war die Oma eine Frau mit großen Rundungen. Als sie sich dem Tod ergab, musste er sich mit einer schmalen Hülle begnügen. Mehr hat ihm die Oma nicht übrig gelassen.

Viele alte Menschen leiden an Einsamkeit. Die Oma war nie allein. Sie hatte immer Besuch im Haus. Auch nachdem sich ihre Kinder in alle Winde zerstreut hatten. Auch als der Opa tot war. Von ihr habe ich gelernt, dass Schenken nicht immer das beste Mittel ist, um zu helfen.

Die Oma zog sich ihr Leben lang wie ein breiter Fluss durch die Familie. Ihre Kinder und Enkelkinder waren seine Ufer. Und eines hat die Oma immer gewusst. Damit ein Fluss nicht versiegt, braucht es eine Quelle, die ihn speist.

Die Oma hat zehn Kinder groß gezogen. Acht Söhne und zwei Töchter. Geld war nie viel im Haus. Aber sie hat damit besser umgehen können als der Opa. Der Opa hat gern über den Durst getrunken und das Geld im Wirtshaus gelassen. Irgendwann war es der Oma zu viel. Sie hat vom Opa die Haushaltskasse übernommen und das Geld für die Familie eingeteilt.

Das hat sie ihr ganzes Leben beibehalten. Für ihre Söhne und Töchter war das Geld, das sie mühsam ansparte, manchmal die letzte finanzielle Hilfe. Die Oma hat ihr Geld nicht verschenkt. Dafür hatte sie nicht genug. Sie hat Kredit gegeben, der in kleinen aber regelmäßigen Raten abgestottert werden musste.

Die Söhne der Oma waren wilde Kerle. Sie haben sich geprügelt. Sie haben ausgeteilt und eingesteckt. Sie haben der Oma das Leben nicht leicht gemacht. Aber die Schulden bei ihr haben sie ohne Murren getilgt. Auch als sie selbst Familien hatten, haben sie keinen Kredit offen gelassen.

Die Zinsen, die sie ihr zahlten, waren die regelmäßigen Besuche für die Ratenzahlungen. Im Haus der Oma herrschte viel Betrieb. Es hat immer welche gegeben, die Geld gebraucht und andere, die es zurückgezahlt haben.

Die Oma war in ihrem ganzen Leben nie einsam. Und Geld hat die Oma auch immer gehabt. Es diente ihr als Mittel zum Zweck. Es war die Quelle, mit der sie ihren Fluss und seine Ufer gespeist hat.