
Als Kind war ich mutiger, als ich es heute bin. Ich maß die Gefahr nach der Größe der Dinge. Manchmal erschrak ich mich an der Unendlichkeit des Himmels, an der Weite des Horizonts und der Dunkelheit der Nacht. Aber ich fürchtete nichts, das sich kleiner anfühlte, als ich es war. Und nichts fühlte sich kleiner an als die Zeit. Eine Stunde, ein Tag, eine Woche, ein Monat oder ein ganzes Jahr bedeuteten nicht mehr als eine Zahl im Kalender. Ich war jung. In mir schlug ein Herz, das sich endlos glaubte.
Damals wusste ich nichts vom Zwerg, der in den Uhren haust. Bis mir meine Großmutter von ihm erzählte. <Seine harmlose Erscheinung täuscht die Menschen.>, sagte sie. Seither bin ich auf der Hut vor dem Zwerg, der in den Uhren haust.
Ich erinnere mich noch gut, wie sie ihn mir beschrieb. <Zwölf Augen hat er und kein Herz, sondern eine kalte Mechanik in seiner Brust. Auf zwei Beinen schleppt er sich vorwärts. Das eine kurz und das andere lang gewachsen. Tagsüber verschluckt der Lärm der Welt seine Schritte. Aber nachts tönen sie laut in allen Ohren. Ti©k-Ta©k, Ti©k-Ta©k zieht er unbarmherzig seine Kreise.>
Neugierig blickte ich damals auf die Uhr am Handgelenk der Großmutter. Es war das erste Mal, das ich den Zwerg, der in den Uhren haust, mit eigenen Augen sah.
In den Tagen danach beobachtete ich sein Treiben auf Schritt und Tritt. Er rief keine Furcht in mir wach. Es belustigte mich, wie der kleine Zeiger auf dem Ziffernblatt sich vergeblich abmühte, mit seinem großen Begleiter Schritt zu halten. In schnellen Schritten stürmte der eine davon, während der andere sich kaum von der Stelle rührte. Auf halber Strecke kehrte sich das Bild um. Unaufhaltsam rückte der große Zeiger im Windschatten des kleinen Zeigers wieder heran, bis er ihn umrundete und sich das Schauspiel von neuem wiederholte.
Das Kreisen des verkrüppelten Zwerges auf dem Ziffernblatt der Uhren stellte keine Gefahr für mich dar, dachte ich. Mühelos würde ich ihn zeit meines Lebens auf Abstand halten. <Die größte Gefahr lauert im Unscheinbaren.> warnte mich die Großmutter vor meinem Leichtsinn, seine Macht zu unterschätzen. Was sollte mir ein verkrüppelter Zwerg anhaben können?, schlug ich ihre Mahnungen in den Wind. Ich empfand nicht mehr als Mitleid mit ihm.
Inzwischen bin ich alt genug, um meinen Irrtum einzugestehen. Ich messe die Gefahr nicht mehr nach der Größe der Dinge, sondern nach ihrer Unbarmherzigkeit. Und nichts ist unbarmherziger als der Zwerg, der in den Uhren haust.
Ich habe gelernt, dass der Himmel nicht unendlich ist. Ich habe dem Horizont bis in den letzten Winkel der Welt nachgespürt. Und ich fürchte mich nicht vor der Dunkelheit. Aber bei jedem Blick auf die Uhr fühle ich meinen verkrüppelten Verfolger näher rücken. Seine Macht ruht nicht in der Geschwindigkeit, mit der er seine Runden zieht. Es ist die endlose Geduld, die ihn unbesiegbar macht. Nie läuft er schneller. Nie vollendet er seine Kreise langsamer. Nie steht er still.
Wer gegen ihn antritt, ist von Anfang an verloren. Ti ©k -Ta©k, Ti©k-Ta©k humpelt er unaufhaltsam heran. Ti ©k-Ta©k, Ti©k-Ta©k rückt er auf gleiche Höhe. Ti©k-Ta©k, Ti©k-Ta©k eilt er allen davon.