
Mein Opa hat sich eine Hommage verdient. Es ist eine späte Wiedergutmachung. Wir waren zu seinen Lebzeiten keine Freunde. Heute verstehe ich, warum er keine Freude mit mir hatte. Meine Oma hat ihm ein kinderreiches Haus beschert. Neun Kinder waren für ihn ein Gottesgeschenk, das er mit Mühe ertrug. Das kleine Haus bot kaum Platz für alle. Sein Jüngster war gerade acht geworden, als ich neben dem Bett meiner Mutter in der Wiege lag. Sie war sechzehn Jahre alt.
Mein Opa verbrachte sein Leben als Vater, der hungrige Mäuler zu stopfen hatte. Er träumte von einer Zeit ohne Kinder. Als ich ihn mit dreiundvierzig zum Opa machte, ahnte er, dass sich sein Wunsch nicht erfüllen würde. Das hat er mir nicht verziehen. Ich war für ihn der letzte Stein in einem Leben voller Stolpersteine.
Seine Vorahnung sollte sich auf tragische Weise erfüllen. Mit fünfundfünfzig kam er mit seinem Motorroller von der Straße ab und brach sich das Genick. Ich war damals zwölf Jahre alt und nicht traurig über seinen Tod. Mein Opa war für mich ein Fremder, der mit der Oma im gleichen Bett schlief.
Ich erinnere mich nicht mehr an sein Gesicht. Nur an sein dichtes, pechschwarzes Haar, das er wie ein junger Bursche zurückkämmte. Mein Opa war anders als die meisten Männer seiner Generation. Er schlug und polterte nicht. Er war ein friedlicher Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide tat. Selbst der deutsche Stahlhelm änderte nichts daran. Kaninchen das Genick zu brechen und Hühnern den Kopf abzuhacken, überließ er anderen.
Ich erinnere mich daran, dass er keine Westernfilme im Fernsehen mochte. Meine jungenhafte Begeisterung dafür befremdete ihn. Er wendete den Blick ab, wenn die Indianer von ihren Pferden geschossen wurden. Er hat in Russland gekämpft. Er hat in Norwegen den Atlantikwall bewacht. Er hat zu viel Grauen im Krieg erlebt, um zu glauben, dass die Indianer wieder lebendig wurden, wenn die Kamera abblendete.
Trotzdem mied ich meinen Opa. Seine schwarzen Haare verliehen ihm etwas Unheimliches. Sie machten ihn für mich zu einem düsteren Wesen, das mir Angst einflößte. Ich versteckte mich hinter der Oma, wenn er nach Hause kam. Ich begann zu schreien, wenn er mich ansah. Heute weiß ich, dass ich ihm in allem Unrecht getan habe.
Mein Opa hat Gerechtigkeit verdient. Er hat mich in seinem Haus Kind sein lassen. Er hat meiner Mutter keine Vorwürfe gemacht. Er hat es ertragen, dass mich meine Oma abgöttisch liebte. Er hat ohne Murren das von mir an den Ecken angebissene Gebäck gegessen.
Mein Opa hat vor dem Krieg keinen Tropfen getrunken. Zigaretten kosteten Geld, das er für seine Kinder brauchte. Der Krieg hat ihn zum Raucher und Trinker gemacht. Er rauchte und trank sich die Bilder weg, die ihn nachts verfolgten. Meine Oma war deshalb oft wütend auf ihn.
An seinem Sarg strich sie ihm durch das Haar. Nie wieder habe ich sie so traurig gesehen. Sie trauerte nicht um den Raucher und Trinker. Sie weinte um die weiße Seele, die mein Opa unter seinen pechschwarzen Haaren bewahrt hatte.