
Die Worte des Greises verfolgten den König bis in den Schlaf. Am nächsten Morgen rief er seine Generäle zu sich. Noch am gleichen Tag erklärte er allen angrenzenden Königreichen den Krieg, um der Vorsehung des Alten zuvor zu kommen.
Wochenlang wüteten seine Soldaten auf unzähligen Schlachtfeldern. Am Ende ging der König als Sieger aus dem blutigen Gemetzel hervor. Im Siegesrausch suchte er mit seinem Gefolge den blinden Greis im Kerker auf. Er fand ein blutiges Elend vor. Die Folterknechte hatten ihm jeden Knochen im Leib zerschmettert. <Von den Burgen der Königreiche, von denen du mir Gefahr angedroht hast, ragen nur noch Mauerreste zum Himmel hoch.>, prahlte der König, ohne den Bettler eines Blickes zu würdigen.
Der Alte hob den Kopf. <Dann ist deine Festung die mächtigste von allen, die auf festem Boden gebaut wurden.“, stöhnte er. >Aber in meinen Träumen sehe ich in den Wolken eine viel mächtigere Burg bis zum Himmel hochragen.>
Der König zuckte kurz zusammen. Dann brach er in ein schallendes Gelächter aus. <Das Gebilde in deinen Träumen ist ein Luftschloss, das sich in Regen und Donner auflöst.>, höhnte er. <Du irrst Dich.>, widersprach ihm der Alte. <Die Träume der Menschen sind uneinnehmbar. Der Tag wird kommen, an dem sie dich und deine Festung von diesem Hügel fegen.> Im Zorn zog der König sein Schwert und versetzte seinem Widersacher einen Hieb, der ihn für immer zum Schweigen brachte.
Bald verbreitete sich Prophezeiung des blinden Greises wie ein Lauffeuer durch das Reich. Nicht einmal ein König, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, besaß die Macht, sie zum Verstummen zu bringen.
Von Tag zu Tag fiel es ihm schwerer, den Himmel über sich zu ertragen. Argwöhnisch begann er, den Zug der Wolken zu verfolgen.
Jahre vergingen, ohne dass eine Rebellion gegen ihn ausbrach oder sich eine feindliche Armee unter den Mauern seiner Burg versammelte. Trotzdem lebte der König in ständiger Angst, dass die Menschen an seiner Macht zweifelten. Bei jeder Wolke, die sich am Horizont ankündigte, versetzte er die Soldaten auf den Wehrgängen in Alarmbereitschaft.
Die Vernunft sagte ihm, dass Regen und Donner ihre einzige Fracht war. Aber die Worte des Blinden spukten wie ein fernes Echo durch seinen Kopf.
Eines Tages entlud sich ein gewaltiges Gewitter über seiner Burg. Ein Blitz schlug in den Turm ein und setzte ihn in Brand. Rasch griff das Feuer auf die anderen Gebäude über. Inmitten der berstenden Mauern erteilte der König den Befehl, die Kanonen zum Himmel auszurichten und auf die Gewitterwolken zu feuern. Aber die Geschütze vermochten den Wolken nichts anzuhaben. Ihre Kugeln fielen auf die Burg des Königs zurück und schlugen riesige Breschen in die dicken Mauern.
Im Glauben einer feindlichen Übermacht gegenüber zu stehen, flohen die Soldaten Hals über Kopf aus ihren Stellungen und ließen ihren Anführer in den Ruinen zurück.
Als der König im Feuerschein der brennenden Burg zum Himmel hoch blickte, erkannte er die Umrisse eines riesigen Schlosses. Wie es ihm der blinde Greis prophezeit hatte, ragte es bis zu den Sternen hoch. Es brauchte keine Mauern, Türme und Wassergräben, um uneinnehmbar in den Wolken zu schweben.
Im gleichen Augenblick stieß ein Blitz einem brennenden Schwert gleich aus den Wolken herab. Mit einem gewaltigen Donner schlug er in den Turm ein und brach eine Steinlawine aus dem Gemäuer, die den König unter sich begrub.