Corona Blues – eine Replik

Ich hab genug von Corona. Mir reicht es. Ich rede schon mit meinen Wänden. Jeder Tag nimmt den gleichen unerfreulichen Anfang. <Deine fettigen Haare stinken.>, lässt mich der Kopfpolster wissen. Ich wünsche ihm die Pest an den Hals und ziehe mir die Decke bis zum Kinn hoch. Sie wehrt sich heftig. Es herrscht dicke Luft zwischen uns. Meine Blähungen werden nicht besser.

Mein Blick fällt auf die Uhr. Es wird gleich Mittag. Zeit zum Aufstehen. Ich quäle mich aus dem Bett und schleppe mich zum Fenster. Die Straße vor dem Haus ist menschenleer. Die Welt hat zugesperrt. Ich beschließe, einen Ortswechsel vorzunehmen und laufe die Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Die Stufen knarren unter jedem Schritt. >Du bist fett geworden.>, stöhnen sie.

Ich wünsche ihnen einen 50 Tonnen Laster an den Hals. Der Gedanke erinnert mich an die Waage in meinem Ankleidezimmer. Ich könnte ihr wieder einen Besuch abstatten. Seit sich die Nadel bei 100 kg überdreht hat, hat sich unser Verhältnis deutlich entspannt. Ihre Freundlichkeit tut mir gut. Ich scheine abgenommen zu haben. Ich wiege nur noch eine Umdrehung und 15 Kilo.

Ein plötzliches Bedürfnis lenkt meinen Weg zur Toilette. Der Aufenthalt endet schmerzhaft. Vom Klopapier ist nur noch die Rolle übrig. Das kleingeschnittene Zeitungspapier tut mir nicht gut. Meine Hämorriden reagieren allergisch auf die Druckerschwärze. Im Badezimmer schreitet der Verfall ebenfalls unaufhaltsam voran. Der Kalk in der Duschkabine wächst langsam zu einem Gebirge hoch.

Aus dem Spiegel über dem Waschbecken starrt mich ein fremdes Gesicht an. Seine Visage gefällt mir nicht. Andererseits ist der Fremde im Spiegel das einzige menschliche Wesen, dem ich seit Wochen begegne. Ich zwinge mir ein Lächeln ins Gesicht und putze ihm die Zähne. Den Rest überlasse ich seinem Schicksal.

Im Wohnzimmer fällt mein erster Blick auf den Terminkalender. Gähnende Leere. Ich gehöre eindeutig zu den Frühaufstehern im Homeoffice. Ich checke meine Emails. Eine Einladung zu einem Online Meeting trägt wenig bei, meine Laune zu bessern. Meine Lust, den Doppelkinnen beim Wachsen zuzusehen, hat deutlich abgenommen.

Als ich die Kaffeemaschine einschalte, starrt mich meine Küche vorwurfsvoll an. Ich habe sie seit Wochen nicht mehr aufgeräumt. Das dreckige Geschirr türmt sich in der Spüle bis unter die Decke. Der Plan, es in der Mülltonne zu entsorgen, scheitert am Platzmangel. Es stapelt sich schon die ungewaschene Wäsche darin. Die Müllabfuhr befindet sich ebenfalls im Homeoffice und rät dazu, den Abfall bis auf Weiteres im Garten zu vergraben.

Die Milch ist aus. Kurzentschlossen schäume ich meinen Kaffee mit einem Schuss aus der Whiskeyflasche auf. Man muss sich nur zu helfen wissen. Die Zuckerdose ist auch leer. Seit ich herausgefunden habe, dass meine Antidepressiva süß schmecken, wenn man sie in den Kaffee einrührt, fehlt er mir nicht mehr.

Ich setze mich auf das Sofa und starre meine Wände an. <Hallo.>, beginne ich die Unterhaltung und versuche zu lächeln. Meine Freundlichkeit bleibt unbelohnt. Totenstille. Die Wände schweigen mich an. Ich nehme einen Schluck aus der Whiskeyflasche. Lange halte ich nicht mehr durch. Wenn die Wände nicht bald zum Reden anfangen, male ich sie schwarz an.