


Wer hat noch nie davon geträumt, mit Zauberei sein Leben von allen Stolpersteinen zu befreien? Wer wünscht sich nicht, eine geheime Formel zu kennen, die einem die Angst nimmt, etwas zu verlieren, das man mehr lieb, als alles andere.
Diese Geschichte handelt davon. Und wie unglaublich sie auch klingen mag. Es findet sich kein fauler Hokuspokus und kein doppelter Boden darin.
Wer ihre Rezeptur ausprobiert, wird eine Überraschung erleben. Denn die Magie dieser Geschichte basiert auf wahren Zutaten. Sie hat sich genauso zugetragen, wie sie erzählt wird.
Als sie dem Fräulein „So-La-La“ widerfuhr, hatte sie ihr Glück schon beinahe verspielt. Es fehlte nicht viel und sie hätte sich vor aller Augen in ein Gespenst verwandelt, dessen Dasein für immer ohne Freude blieb.
Aus heiterem Himmel suchten sie nachts böse Geister heim, die ihr den Schlaf raubten. Mit hochgezogenen Augenbrauen, gestreckten Zeigefingern und mitleidigen Stimmen spukten sie durch ihre Träume.
An dem Gift, das sie mitbrachten, verdorrte jeder heiterer Gedanke.
„Es gibt keine Hoffnung mehr auf ein besseres Leben.“, flüsterten die hochgezogenen Augenbrauen ihr ins Ohr.
„Wir haben dein Glück gesehen. Es liegt unter tausend Steinen begraben.“, höhnten die gestreckten Zeigefinger.
„Jeder Stein wiegt schwer wie ein ganzes Leben.“, kicherten die mitleidigen Stimmen schadenfroh.
Mit ihrem Gelächter im Ohr wachte das Fräulein „So-La-La“ mitten in der Nacht auf. Die Puppe, die auf dem Polster neben ihr lag, ahnte nichts von dem Unglück, das ihre Besitzerin quälte. Sie schlief tief und fest.
Nur der Mond, der durch das Fenster herein schaute, tröstete das Fräulein „So-La-La“.
Aber gegen die Stimmen in ihrem Kopf vermochte auch er nichts auszurichten.
Sein fahles Licht reichte bloß aus, das Gesicht der Puppe auszuleuchten, und den alptraumhaften Fratzen ein freundliches Lächeln entgegen zu setzen.
Das Fräulein „So-La-La“ dankte es ihm jedes Mal mit einem Kuss. Worauf der Mond verlegen hinter einer dicken Wolke verschwand.
An ihre stumme Freundin gekauert, harrte sie Nacht für Nacht bis zum Morgengrauen aus, ohne ein einziges Mal, die Augen zu schließen.


Innerhalb weniger Tage hatten die Alpträume ihr Ziel erreicht.
Das Fräulein „So-La-La“ war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die schlaflosen Nächte hatten alles Rosa aus ihren Wangen gewaschen. Ihr Gesicht war weiß wie Milch. In den Lippen schimmerte ein blasses Blau. Und die trüben Augen glichen welken Blumen.
„Der verrückte Clown in ihrem Mund treibt sie in den Wahnsinn.“, suchte die Mutter die Erklärung an einer falschen Stelle.
„Sie schläft schlecht.“, beschrieb der Vater das Symptom und nicht das wahre Übel.
Es war der Großmutter zu verdanken, dass es nicht zum Äußersten kam. Sie bemerkte als erste, in welcher Gefahr das Fräulein „So-La-La“ schwebte.
„Es ist das dumme Geschwätz in ihrem Rücken, das sie verzweifeln lässt.“, sprach sie aus, was niemand zu denken wagte.
Zum Glück besaß der Vater empfindliche Ohren. Mit ihnen konnte er eine Mücke au hundert Meter husten hören. Er hatte das Knacksen des Geduldsfadens der Mutter als erster bemerkt.
„Es sind deine verrückten Geschichten, die dem Mädchen den Kopf verdrehen.“, schrie sie sich die Angst aus der Seele.
Der Vater sagte kein Wort. Stattdessen packte er die Großmutter an der Hand und floh mit ihr aus der Küche. Es war keine Sekunde zu früh. Die Explosion, die sich hinter ihnen entlud, riss zwei Kaffeetassen und nicht weniger Kuchenteller ins Verderben.
In den folgenden Stunden war die Mutter beschäftigt, im Schlafzimmer ihren gerissenen Geduldsfaden zu flicken. Der Vater nutzte die Verschnaufpause, die Scherben in der Küche zu beseitigen.
Die Großmutter kümmerte sich in der Zwischenzeit um die wahre Bedrohung.
„Wir sollten uns um die Gespenster kümmern, die dir nachts den Schlaf rauben.“, sagte sie.
Ein zaghaftes Lächeln umspielte das blasse Gesicht des Fräuleins „So-La-La“, die unter dem Küchentisch die Explosion unbeschadet überstanden hatte.


Zögerlich kletterte sie aus ihrem Unterschlupf hervor und setzte sich zu den Füßen der Großmutter.
„Es snid zu veile.“, schluchzte sie.
„Slbest der Mnod knan sie nchit vertrieben.“
„Man muss keine Angst haben vor ihrem dummen Geschwätz.“, widersprach die Großmutter.
„Es gibt einen Zauber, der sie zum Verstummen bringt.“,
Das Fräulein „So-La-La“ schenkte ihren Worten keinen Glauben. Was konnte ein Zauber gegen Gespenster bewirken, die nur in ihrem Kopf existierten?
Ihr graute bei dem Gedanken, im Bett zu liegen und die Augen zu schließen.
Mit stumpfen Augen blickte sie zum Küchenfenster hoch. Die Scheiben begannen sich dunkel zu färben.
Die Geister , die sie jede Nacht quälten, bereiteten bereits ihre Ankunft vor, als die Stimme der Großmutter wie das Echo eines gewaltigen Donners ihr Gelächter übertönte.
„Heute Nacht wird der Spuk eine bittere Niederlage einstecken.“, knurrte sie.
„Ich werde Dir einen Zauberspruch verraten, der sie für immer aus deinem Schlaf vertreiben wird.“
Mit diesen Worten beugte sie sich zu dem Fräulein „So-La-La“ hinunter und flüsterte ihr allerlei Seltsames in Ohr. Eine Stunde übten sie gemeinsam, bis jeder Ton an der richtigen Stelle saß.
Es musste in aller Heimlichkeit geschehen, um den Geduldsfaden der Mutter nicht unnötig zu strapazieren.
„Das hilft?“, staunte das Fräulein „So-La-La“, als sie den Zauberspruch wie im Schlaf beherrschte.
Die Großmutter zwinkerte mit den Augen.
„Ich habe ihn schon oft verwendet. Und er hat kein einziges Mal versagt.“
In dieser Nacht wagte es das Fräulein „So-La-La“, die Augen zu schließen, bevor sie ihr vor Müdigkeit zufielen.
Mit ihrer Puppe im Arm schlief sie ein. Zuvor hatte sie den Zauberspruch, den ihr die Großmutter ins Ohr geflüstert hatte, an einer dunklen Stelle ihrer Gedanken versteckt, um die bösen Geister in Sicherheit zu wiegen.


Diese ließen nicht lange auf sich warten. Siegessicher stürzten sie sich auf die vermeintlich leichte Beute.
„Es gibt keine Hoffnung mehr auf ein besseres Leben.“, flüsterten die hochgezogenen Augenbrauen ihr ins Ohr.
„Wir haben dein Glück gesehen. Es liegt unter tausend Steinen begraben.“, höhnten die gestreckten Zeigefinger.
„Jeder Stein wiegt schwer wie ein ganzes Leben.“, kicherten die mitleidigen Stimmen schadenfroh.
In dieser Nacht wachte das Fräulein „So-La-La“ nicht tränenüberströmt auf. Mit entschlossenem Herzen bot sie den Quälgeister die Stirn, wie es ihr die Großmutter beigebracht hatte.
Im Schlaf hatte der verrückte Clown in ihrem Mund keine Macht über sie.
„MA-DI-TU-VO-AU-ZU“, schrie sie im korrekten Wortlaut.
Augenblicklich geriet der wilde Spuk in Panik. Die Fratze mit den hochgezogenen Augenbrauen stieß einen Schrei aus, bevor sie sich in Luft auflöste. Aus den gestreckten Zeigefingern stiegen kleine Rauchsäulen auf, bis nur noch Häuflein Asche von ihnen übrig war. Die mitleidigen Stimmen versuchten ihr Glück in der Flucht. Aber bevor es ihnen gelang, aus dem Traum zu entkommen, zersprangen sie in winzige Scherben wie die Kuchenteller in der Küche.
Es war ein herrlicher Sieg. Das Fräulein „So-La-La“ kostete ihn bis zum Morgengrauen aus.
Als sie die Augen aufschlug, hatte sie wieder Farbe im Gesicht. Um die Lippen schimmerte ein helles Rot. Und ihre Augen blühten wie Blumen im Frühling.
Freudestrahlend sprang sie ihrer Mutter in die Arme. Vor Worten übersprudelnd erzählte sie, was sich zugetragen hatte.
Die Mutter schüttelte ungläubig den Kopf.
„Das ist nicht möglich.“, wiederholte sie mehrere Male.
Ihre aufgeregte Stimme lockte den Vater herbei.
„MA-DI-TU-VO-AU-ZU.“, wiederholte er den Zauberspruch, der das Fräulein „So-La-La“ von ihrer Plage erlöst hatte.
„Ich denke, ihn schon einmal gehört zu haben.“, grinste er sich die Lippen bis zu den Ohren breit.
Die Mutter brach in schallendes Gelächter aus, als bei ihr endlich der Groschen fiel.


Mit hochrotem Kopf umarmte sie den Vater und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
Das Fräulein „So-La-La“ stand dem Gelächter und der Küsserei, die sich vor ihren Augen abspielte, ratlos gegenüber. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand zuckte nervös. Das Verlangen, ihn gegen ihre Stirn zu tippen, wurde immer übermächtiger.
Mit Blick auf den gestreckten Zeigefinger bemühte sich die Mutter, ihr seltsames Verhalten aufzuklären.
„Mit MA-DI-TU-VO-AU-ZU lassen sich nicht nur böse Geister vertreiben. Der Zauberspruch hält auch lästige Verehrer auf Abstand.“, lachte sie.
Der Vater warf sich in Pose.
„Außer sie stecken sich die Daumen in die Ohren. Dann verpufft er wirkungslos.“
Das fette Grinsen in seinem Gesicht ließ ihn wie einen glücklichen Clown aussehen, der sich über die Blume an seiner Jacke erfreute.
Die Mutter griff nach seiner Hand und nickte zustimmend.
„Zum Glück besitzen Schreckgespenster keine Daumen.“, sagte sie.
Das Fräulein „So-La-La“ verstand nichts von alldem. Kopfschüttelnd überließ sie die verrückt gewordenen Eltern ihrem Schicksal und verschwand ins Wohnzimmer, wo die Großmutter auf sie wartete. Sie konnte nicht abwarten, ihr von der Neuigkeit zu erzählen.
Bei aller Freude brannte dem Fräulein „So-La-La“ eine Frage wie Feuer auf der Zunge.
Seit Stunden zerbrach sie sich vergeblich den Kopf über die wahre Bedeutung des Zauberspruchs.
„MA-DI-TU-VO-AU-ZU“ ergab keinerlei Sinn. Sie hatte dieses Wort nie zuvor gehört.


„Vielleicht ist es ein Zauberspruch.“, erklärte die Großmutter.
„Aber ganz bestimmt ist es etwas, das dir ein Leben lang helfen wird, dich von Dingen zu befreien, die Du nicht länger ertragen willst.“
„MA-DI-TU-VO-AU-ZU.“, wiederholte das Fräulein „So-La-La“, ohne hinter die Bedeutung des Satzes zu kommen.
Endlich löste die Großmutter das Rätsel auf.
„Mach die Tür von außen zu.“, sagte sie.
Dabei betonte sie die Silben, als würde sie eine geheimnisvolle Zauberformel murmeln.
Nun klingelte es laut im Kopf des Fräuleins „So-La-La“. Es klang, als würde eine Alarmsirene in ihren Ohren aufheulen.
Argwöhnisch blickte sie die Großmutter an.
„Dann ist es gar kein richtiger Zauber?“, fragte sie.
„Oh doch. „, behauptete die Großmutter.
„Jeden Tag stellt er seine Wirkung tausendfach unter Beweis.“
Das Fräulein „So-La-La“ biss sich auf die Lippen. Sie wusste nicht, wofür sie sich entscheiden sollte. War tatsächlich Zauberei im Spiel gewesen, als sich die Geister in ihrem Kopf in Luft auflösten? Oder hatte sich die Großmutter bloß einen üblen Scherz mit ihr erlaubt? Nach langem Überlegen traf sie eine Wahl, an deren Richtigkeit sie nicht den geringsten Zweifel hegte.
„Ich wieß acuh enien Zuaberspurch.“, sagte sie.
„GE-NI-FO-VO-MI.“.
Die Großmutter zog die Augenbrauen in die Höhe.
„Was bedeutet er?“, fragte sie.
„Geh niemals fort von mir.“, antwortete das Fräulein „So-La-La“.
Dann umarmte sie die Großmutter und drückte sie fester, als sie es jemals zuvor getan hatte.
ENDE.