Walther PPK

Mein Großvater war ein friedfertiger Mensch. Aber sein Leben verlief keineswegs unblutig. Die Landwirtschaft, die er mit seiner Frau führte, verlangte ihren Blutzoll. Er schlachtete Schweine, schlug Hühnern den Kopf ab und brach Kaninchen das Genick.

Es waren andere Zeiten. Wer Fleisch essen wollte, musste es sich von den Tieren holen, die lebendig im Stall standen.

Den blutigsten Teil seines Lebens verbrachte mein Großvater im Krieg. Er haderte nicht wie viele andere damit, in einem verlorenen Krieg gekämpft zu haben. Vielmehr litt er darunter, was der Lärm der Maschinengewehre aus den Menschen machte.

“Der Krieg weckt ein grausames Tier in uns auf.“, sagte er

“Wenn es einmal Blut geleckt hat , lässt es sich nicht mehr stoppen”

Ich habe nie erfahren, in welcher Einheit mein Großvater gedient hat und welcher Blutspur er gefolgt ist. Er redete selten über diesen Teil seines Lebens.

Einmal erzählte er von einem russischen Scharfschützen. Zwei seiner Kameraden lagen mit Kopfschüssen tot am Boden, bevor ihn mein Großvater in einem Obstbaum ausspähte und das Maschinengewehrfeuer auf ihn lenkte

Die Augen meines Großvaters glänzten nass, als er davon sprach, wie das Blut des Scharfschützen in kirschgroßen Tropfen aus dem Baum fiel.

Das Tier wütete ohne Pardon auf beiden Seiten.

Ich war zehn Jahre alt, als mein Großvater mir einen schmierigen Lappen in seinem Werkzeugkoffer zeigte. Als ich ihn aufschlug, kam eine Pistole zum Vorschein.

“Es ist eine Walther PPK.“, erklärte mir mein Großvater

“Sie hat es verdient an einem heiligen Ort aufbewahrt zu werden. Eine solche Pistole hat die Welt von der blutrünstigsten Bestien aller Zeiten befreit.”

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, was seine Worte bedeuteten. Für mich ging ein Bubentraum in Erfüllung, als ich mit den Fingern über das ölglänzende Metall strich.

Meine gierigen Blicke ließen meinen Großvater erschrecken. Wortlos schlug er den Lappen zu und setzte mich vor die Tür. Ich durfte nie wieder einen Fuß in seine Werkstatt setzen.

Vielleicht hatte er das Tier in meinen Augen blitzen gesehen.

Wenige Jahre danach hustete sich mein Großvater die Lunge aus dem Leib. Er war nie ein großer Kirchgänger gewesen. Aber kurz vor seinem Tod suchte er oft die Gesellschaft des Dorfpfarrers auf.

Noch am Tag seines Begräbnisses habe ich heimlich seine Werkzeugkiste durchsucht. Zu meiner Enttäuschung war die Pistole daraus verschwunden.

Als man Jahre später die Dorfkirche sanierte, hatte längst ein neuer Priester die Pfarre übernommen. In einer Nische unter dem Altar stießen die Handwerker auf ein seltsames Bündel. Es wurde im Ort viel über den Inhalt geflüstert. Aber niemand sprach offen darüber.

Ich wusste als einziger Bescheid. Der Pfarrer hatte den Wunsch meines Großvaters erfüllt.

Erst im Geschichtsunterricht habe ich erfahren, welche Bedeutung die Pistole für ihn hatte. Am 30. April 1945 biss Adolf Hitler auf eine Giftkapsel und schoss sich mit einer Walter PPK in den Kopf.

© Andreas Schwarz 2021-07-18