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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Das Fräulein „So-La-La“ hatte sich sicherheitshalber unter den Küchentisch gerettet. 
Eine Stubenfliege nutzte die Gunst der Stunde und ließ sich auf ihrer Nasenspitze nieder. Das Fräulein „So-La-La“ beäugte den ungebetenen Gast misstrauisch.
Der Versuch, die Fliege mit einem heftigen Kopfschütteln loszuwerden, schlug fehl.  Seelenruhig putzte sich die Fliege die Flügel.
Schließlich platzte dem Fräulein „So-La-La“ der Kragen. Mitleidlos richtete sie ihre Rechte gegen ihre Nase und holte zum Schlag aus.  Die Fliege durchschaute die  finstere Absicht. Mit einem Sturzflug rettete sie sich aus der Gefahrenzone. Die Hand klatschte ins Leere.
Mit schmerzverzerrter Miene rieb sich das Fräulein „So-La-La“ die geschwollene Nase.
Hasserfüllt blickte sie dem entkommenen Todfeind hinterher. 
Die Gesellschaft der Fliege beschwor die schlimmste aller Zeitrechnungen herbei.  Die Minuten und Stunden fühlten sich plötzlich an wie endlose Monate und Jahre.  Während die  Fliege langsam zu einem Greis alterte, standen für den Rest der Welt die Uhren still.
Die Fliegenzeitrechnung tauchte überall auf.  Kein Ort war vor ihr sicher. Sie verlängerte unnütze Konferenzen und langweilige Theateraufführungen. Sie lauerte in den Wartezimmern oder platzte ohne Vorwarnung in Familienfeiern hinein. 
 „Viele Menschen würden dich um ein solches Haustier beneiden.“, schmunzelte die Großmutter beim Anblick der geröteten Nase ihrer Enkelin.
Vielleicht hatte Oma Rosa recht, grübelte das Fräulein „So-La-La“ über die Antwort nach. Eine Stunde, die sich anfühlte wie ein halbes Fliegenleben lang, hatte auch Vorteile.   
Man konnte endlos nachdenken und Dinge erledigen, ohne dauernd auf die Uhr blicken zu müssen.
Schneller als ihr lieb war, bekam sie Gelegenheit, die Überlegung  in die Tat umzusetzen.

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