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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Zuerst weinte ihm die Prinzessin keine Träne hinterher.

„Meine besten Jahre habe ich mit einem Wicht vergeudet.“, bedauerte sie sich selbst.
Bald nach dem Verschwinden des Zwerges ereigneten sich seltsame Dinge.

Kein Essen wollten der Prinzessin  wieder so gut schmecken wie jene Köstlichkeiten, die der Zwerg für sie zubereitet hatte.

Je prächtiger sie ihre Villa ausschmückte, desto langweiliger empfand sie das Haus im Vergleich zum Glanz der ersten Tage, die sie mit dem Zwerg darin verbracht hatte.

Nicht anders erging es ihr mit den Kleidern, die in den Schränken verstaubten. Wie zum Hohn strahlte sie in den Stücken, die der Zwerg für sie angeschafft hatte, am schönsten.

Die größte Schwermut überfiel die Prinzessin jedoch bei dem Gedanken an das Kind, das sie nie geboren hatte.

Im selben Maß wie ihre Sehnsucht nach den verloren gegangenen Dingen wuchs, veränderte sich auch die Erinnerung an den Zwerg. Mit jedem Jahr, das ins Land zog, gewann er an Größe. Am Ende überragte sein riesiger Schatten alles andere in ihrem Leben.

Aber ihre Reue kam zu spät. Der Zwerg setzte nie wieder einen Fuß über ihre Schwelle.

Zwischenspiel

„Für das Glück gibt es keine Rezeptur“, sagte die Geschichte, die an meiner Bettkante saß.
„Es schmeckt für jeden anders.“

Als ich den Satz hörte, spürte ich einen bitteren Geschmack im Mund.  
In den Nächten, in denen ich allein im Bett lag und in die Dunkelheit starrte, versuchte ich mich vergeblich an das Glück zu erinnern, das mir verloren gegangen war. Aber so sehr ich mich anstrengte. Ich fand nicht die richtigen Worte dafür.  Es schien zur Gänze aus Dingen zu bestehen, die sich selbstverständlich anfühlten.

Essen zu haben, wenn man Hunger hatte. Trinken zu können, wenn man durstig war.  An einem Ofen zu sitzen, wenn draußen der Sturm pfiff. Ein Dach über dem Kopf zu wissen, wenn es regnete. Im eigenen  Bett  zu schlafen, wenn man müde war. Mit einer Umarmung getröstet zu werden, wenn man sich traurig fühlte. Eine offene Tür zu finden, wenn man einsam war.  

Nie wurde die Liste komplett.  Es war, als würde ich versuchen, die Sandkörner am Strand zu zählen.

„Oft ist das Glück nicht einmal eine Schönheit. Und manchmal scheint es in einen Fingerhut zu passen.“, echote die Stimme der Geschichte in meinem Kopf.

„Seine wahre Größe offenbart es erst, wenn es verloren geht.  Dann klafft an der Stelle, wo es fehlt, eine Lücke, wie sie nur ein Riese hinterlassen kann.“

Ich blickte die Geschichte an. Wie recht sie hatte.

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