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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Noch am gleichen Tag lag ein neuer Zeichenblock in der doppelten Größe auf ihrem Schreibtisch.

Nie wieder stieß ein Hals unsanft an das Blattende,  wenn er sich aus dem Kartoffelsack strampelte. Stolz streckte er sich dem prächtigen Tüpfelchen entgegen, das über ihm schwebte.   

Der luftballongroße Wasserkopf trug die Züge eines Mädchens, in dem sich das Glück schaukelte.
Für die Sonne, die aus der Ecke strahlte, rührte das Fräulein  „So-La-La“ ein kräftiges Gelb an, damit das Tüpfelchen in seiner ganzen Schönheit zur Geltung kam.  

Die Freude, die sie ausstrahlte, brachte auch die Mutter zur Einsicht. 

„Solange sie sich darauf beschränken, stumm von den Wänden zu starren,  können  sie im Haus bleiben.“, streckte sie den verhassten Wasserköpfen die Hand zur Versöhnung entgegen.

Allerdings durfte niemand den verpönten Namen in den Mund nehmen.  Wer gegen dieses Gebot verstieß, blickte in das Auge eines mütterlichen Orkans, gegen den die Sintflut wie ein Platzregen anmutete.  

Die gelungensten Zeichnungen wurden eingerahmt und erhielten einen Ehrenplatz an der Wand im Wohnzimmer.  In ihren goldenen Rahmen wirkten sie nicht weniger kostbar als die Gemälde, die in den Museen hingen.

Fortan verbrachte das Fräulein „So-La-La“ mit Billigung ihrer Mutter die Kindheit an einem Ort,  an dem sich mehr Strichmädchen tummelten als anderswo in der Welt, ohne dass ihr Charakter daran Schaden  genommen hätte.

Wenn ein  Besucher die Bilder interessiert in Augenschein nahm, beeilte sich die Mutter jeden Verdacht im Keim zu ersticken.

„Es sind Luftballonkinder, die in den Wolken schweben.“, erklärte sie mit gespielter Kunstsinnigkeit.

Die anwesende Schöpferin der Kunstwerke übte sich in Bescheidenheit.

„Das bin ich, wie ich mit mienem Tüfpelhcen aus dem Speigel in die Wlet bilcke.“, redete das Fräulein „So-La-La“ die Bedeutung ihrer Bilder klein.

In Wahrheit platzte sie fast vor Stolz, weil sie sich keinen schöneren Wasserkopf auf ihrem Hals vorzustellen vermochte.

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