
Die Raumnot wurde mit jedem Bild offensichtlicher. Den traurigen Schlusspunkt setzte ein schmaler Hals, der sich erwartungsvoll aus einem fein linierten Kleidersack streckte.
Punktgenau setzte das Fräulein „So-La-La“ den Stift für den Kopf an. Da schnitt ihr der scharfe Blattrand den Weg ab. Mit der Gnadenlosigkeit eines Scharfrichters verrichtete er sein Handwerk.
Entsetzt schrie das Fräulein „So-La-La“ auf. Die zur Hilfe eilende Mutter hatte Mühe, ihre Freude zu unterdrücken.
„Die arme Kreatur sieht aus wie ein Strich, dem das Tüpfelchen fehlt.“, erklärte sie scheinheilig.
Unverhofft sah sie die Gelegenheit gekommen, die verhassten Geschöpfe an den Wänden loszuwerden.
Nach außen missbilligte sie die Methode des Köpfeabschneidens. Im Stillen dankte sie dem scharfen Blattrand für sein entschlossenes Eingreifen.
Dem Fräulein „So-La-La“ blieb die Scheinheiligkeit ihrer Mutter verborgen. Sie war von anderen Sorgen geplagt. Ohnmächtig musste sie mitansehen, wie eines ihrer Geschöpfe ohne Kopf durch die Welt irrte. Sie fühlte sich wütend und schuldig zugleich.
„Was ist ein Tpülfehcen?“, schluchzte sie in Tränen aufgelöst.
„Es ist der kleine Unterschied, der ausmacht, dass du „Du“ bist und ich „Ich“ bin.“, klärte sie die Mutter auf.„Der kleine Buchstabe „i“ kann ohne sein Pünktchen vieles oder gar nichts sein.“.
Mit einem entschlossenen Schwung setzte sie einen senkrechten Strich auf das Zeichenblatt, an dessen Ende sich ein kopfloser Hals in die Höhe streckte.
„Was siehst du darin?“, fragte sie.
Das Fräulein „So-La-La“ beäugte den Strich von allen Seiten. Es machte keinen Unterschied, ob sie ihn von links nach rechts oder von oben nach unten anstarrte. Der Strich blieb immer ein Strich.
Es könnte ein verirrter Sonnenstrahl sein, rätselte sie.
In ihren Zeichnungen strahlte die Sonne mit ähnlichen Strichen aus der Ecke. Andererseits konnte es sich genauso gut um einen Grashalm auf einer Wiese handeln, blieb das Fräulein „So-La-La unschlüssig.
Die Mutter pflichtete ihr bei.
„Er kann alles Mögliche sein. Ohne sein Tüpfelchen hat er keinerlei Bedeutung.“, sagte sie.
„Veiliecht ist es der Anfnag von eienm Strihcmäcdhen.“, streute das Fräulein „So-La-La“ Salz in die mütterliche Wunde.
