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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Der Zeigefinger des Fräulein „So-La-La“ zuckte nervös. Die Mutter kam ihr zuvor. Sie packte den Zeigefinger und führte ihn an ihr eigenes Herz.

„Ich bin, weil deine Großmutter vor mir gewesen ist.“, erklärte sie.    

Vor ihren Augen blitzten die Gesichter auf, die an dieser Kette durch die Jahrhunderte gegangen waren. Es waren alte und junge Gesichter. Alle Zeitalter spiegelten sich in ihnen. In einer endlosen Reihe zogen sie an ihr vorüber.

Nie blieb eine Lücke zwischen ihnen. Nie riss die Kette an einem Glied ab. Aufrecht marschierten die einen. Gebückt schlichen die anderen vorbei. Manche lachten. Andere trugen ernste Mienen zur Schau. Viele warfen Kusshände.

Am letzten Zipfel des Zuges entdeckte sie endlich das Gesicht, nach dem sie verzweifelt Ausschau hielt.  Es strahlte jung und lebendig, wie auf dem Bild in der Hand ihrer Mutter.

Ein wohliger Schauer durchzuckte das Fräulein „So-La-La“.  Stolz nahm sie die schier endlose Parade ab.

„Ich kann sie alle  sehen.“, jubelte sie.
„Oma Rosa spaziert mitten unter ihnen. Sie winkt mir zu.“

Der Kummer, der sie unter den Küchentisch getrieben hatte, war wie weggeblasen. Die Angst besaß keine Macht mehr über sie. Weder wuchsen ihr spitze Zähne, um zu beißen. Noch hatte sie scharfe Krallen, um zu kratzen.

Plötzlich funktionierte auch ihre Zunge einwandfrei. Jeder Buchstabe traf den richtigen Ton. Das S war auf seinem Platz, wo es gebraucht wurde. Nirgendwo hoffte man vergebens auf ein A. Das R rollte an die richtige Stelle. Und nie wieder verpasste ein U seinen Einsatz.

Es geschah, wie es die Großmutter vorhergesagt hatte.  Die Zunge hörte auf, ein übermütiger Clown zu sein,  wenn  die Zeit dafür reif war.

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