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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Als das Fräulein „So-La-La“  die Augen öffnete, war sie nicht allein. Schlaftrunken glaubte sie in dem Schatten, der sich auf sie zubewegte, den hinkenden Zwerg,  der in den Uhren hauste, zu erkennen.
Sie wusste um seine Gefährlichkeit. Sein unbarmherziges Ticken  hatte ihr die Großmutter genommen. Nun war er gekommen, um sein nächstes Opfer zu holen.

Tick-Tack, Tick-Tack schleppte er sich heran.
Tick-Tack, Tick-Tack zog er auf gleiche Höhe.
Tick-Tack, Tick-Tack eilte er uneinholbar voraus.

In blinder Raserei hieb sie auf den Eindringling ein.  Sie schlug ihn mit Fäusten. Sie trat ihn mit den Beinen. Sie kratzte ihn mit ihren Fingernägeln. Sie biss ihn mit den Zähnen.

Erst der ohrenbetäubende Lärm, mit dem der Geduldsfaden der Mutter riss, brachte sie zur Besinnung.    
Entsetzt über die blutige Spur, die sie im Gesicht der Mutter hinterlassen hatte,  kroch das Fräulein „So-La-La“ unter dem Küchentisch hervor.

Während die Mutter ins Badezimmer eilte, um sich das Blut aus den zerfleischten  Wangen zu waschen, blieb das Fräulein „So-La-La“ als schluchzendes Elend zurück. 
Mit bangem Herzen harrte sie ihrem Strafgericht entgegen. Wohlerzogene Töchter setzten ihren Müttern nicht die Zähne ins Fleisch. Noch weniger rissen sie ihnen  die Haare büschelweise vom Kopf. Und ganz und gar nicht kratzten sie ihnen das Gesicht blutig.

Das Klappern der Schuhabsätze auf dem Boden ließ das Fräulein „So-La-La“ zusammenzucken.
Ängstlich blickte sie zu der Tür hoch. Die Mutter lächelte sie mit ihrem zerkratzten Gesicht versöhnlich an.  

„Sie fehlt mir nicht weniger als dir.“, sagte sie.

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