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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Besäßen diese Tage ein Gesicht, wäre es griesgrämig. Hätten sie einen Charakter, wäre er von übler Natur. Gingen sie einer Arbeit nach, wäre es die eines Handelsreisenden für Schicksalsschläge und Unglücke aller Art. Und führten sie ein Geschäft, wäre es ein Trödelladen für versperrte Türen,  leere Stühle und verwaiste Koffer. 

Einer dieser Tage veränderte das Leben des Fräulein  „So-La-La“ für immer.  Er stand völlig unauffällig im Kalender und war ein Sonntag wie viele andere.
Für die meisten Menschen verstrich er bedeutungslos. Sie wussten nichts Besseres mit ihm anzufangen, als ihr Auto zu waschen oder sich gegenseitig mit Besuchen zu ärgern.

Als der Abend dämmerte, hatte die Welt keinen anderen Klang als am Morgen. Aber für das Fräulein  „So-La-La“ war sie ein stiller Ort geworden. Es war der Tag, an dem das Herz ihrer Großmutter aufhörte zu schlagen.
Manchmal gleicht das  Glück  dem Eis zugefrorener Flüssen. Der Frost der kalten Tage kann  ihm nichts anhaben. Es sind die sonnigen Stunden, die es dünnwandig werden lässt und den Leichtsinn der Eistänzer bestraft.

Zeit ihres Lebens wusste sich die Großmutter durch ihre robuste Natur vor den Pillen und Spritzen der Ärzte beschützt. Am Ende wurde  ihr ein hartnäckiger Husten, der sich über Wochen hinschleppte, zum Verhängnis. Trotz ihrer Hustenanfälle schlich sie frühmorgens auf der Jagd nach den Frühstückszeitungen der Nachbarn im Nachthemd durch das ungeheizte Stiegenhaus. Bei ihrem letzten Streifzug brach sie mit einem heftigen  Hustenanfall im Treppenhaus zusammen. 

Von einer Sekunde zur nächsten verwandelte sich die Großmutter in eine der Geschichten, die sie am liebsten in ihrem Küchenofen verbrannte. Sie wurde eine schlechte Nachricht, von der man  in der Zeitung las.

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