
Es überraschte mich, sie nach so langer Zeit wieder zu sehen.
„Wie geht es dir?“, fragte die Geschichte.
„Es ist viel passiert, seit dich der Wind fortgetragen hat.“, seufzte ich.
Ich dachte an meine Töchter, die inzwischen ihr eigenes Leben lebten.
„Das passiert, wenn die Zeit vergeht.“, antwortete die Geschichte.
Mehr sagte sie nicht. Der Lauf der Dinge lässt sich nicht mit Worten zurückdrehen. Was geschehen ist, ist geschehen.
Bevor ich mich weiter auf die Unterhaltung einließ, zwickte ich mir in die Wange, um sicherzugehen, nicht dem üblen Scherz eines Traumes auf den Leim zu gehen. Der Schmerz beruhigte und verstörte mich gleichermaßen. Ich träumte nicht. Es passierte tatsächlich. Ich unterhielt mich mit einer Geschichte, die an meiner Bettkante saß.
„Warum bist du zurückgekommen?“, fragte ich sie.
„Ich habe eine lange Reise hinter mir. Es ist an der Zeit, das letzte Kapitel aufzuschlagen.“, antwortete die Geschichte.
Es fiel mir schwer, meine Verwunderung vor ihr zu verbergen. Ich war überzeugt gewesen, die Geschichte zu Ende erzählt zu haben.
„Wie soll das gehen?“, fragte ich.
Mein Gedanken schweiften zu meinem Schreibtisch ab. Er war schon lange verwaist. Ich hatte seit Jahren keine Zeile mehr in die Computertastatur getippt.
„Du musst keine Angst haben.“, wischte sie meine Bedenken zur Seite.
„Auf meiner Reise habe ich den Zauber gelernt, der alle Geschichten erzählt.“
In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf mehr. Im Zimmer herrschte Totensille. Auf der Straße vor dem Haus regte sich kein Laut. Der Wind, der sonst ungeduldig durch die Bäume rauschte, hielt still. Selbst das Ticken des Weckers verstummte, um einer Geschichte zu lauschen, die mitten in der Nacht durch mein Fenster gestiegen war.