
Das traurige Ende des Seiltänzers entsetzte das Fräulein „So-La-La“. Die wässrigen Augen verrieten ihr Mitleid mit ihm.
„Der Seiltänzer ist abgestürzt, weil er seine Mitte aus den Augen verloren hat. “, seufzte die Großmutter.
„Er hat sie an der falschen Stelle gesucht.“
Ein Geistesblitz durchzuckte das Fräulein „So-La-La“. Vielleicht lieferte das Schicksal des Seiltänzers den entscheidenden Hinweis, wo der Mittelpunkt der Welt zu finden war?
Sie sprang von der Parkbank hoch und hüpfte über die Wiese. Übermütig schlug sie Pfauenräder auf dem Boden. Nach einigen Überschlägen erstarrte sie. Langsam zog sie die Arme zur Seite hoch, bis sie eine gerade Linie mit den Schultern bildeten. Sie beugte den Oberkörper nach vor und streckte das linke Bein nach hinten durch.
Anfangs gelang es ihr nur mit Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Sie ruderte mit den Armen, um nicht zur Seite zu kippen. Dann passierte alles wie von selbst. Ihr Körper entspannte sich. Das Zittern im rechten Bein hörte auf. Sie schloss die Augen und ließ sich von ihren Gefühlen leiten. Ein wohliger Schauer durchströmte sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen.
Sie hatte aufgehört, ein Mädchen zu sein, das sich daran störte, nur aufrecht unter dem Küchentisch zu stehen, ohne mit dem Kopf anzustoßen. Sie war eine Tänzerin, die auf einem dünnen Seil balancierte. Alle Ängste verloren sich als winzige Punkte in der Tiefe.
Auf einmal hatte es keine Bedeutung mehr zu sehen, was die Geschichten sahen. Viel schöner fühlte es sich an, leichtfüßig auf einem unsichtbaren Seil zu schweben.
„Ist das der Mtitelpnukt der Wlet?“
Erwartungsvoll blickte sie zu ihrer Großmutter auf.
„Ich denke, du hast gefunden, wonach du gesucht hast.“, antwortete Oma Rosa.
