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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

„Der Nabel am Bauch zeigt dir, aus welcher Mitte du abstammst.“, widersprach die Großmutter ihren stummen Gedanken.

Genervt setzte sich das Fräulein „So-La-La“  mit dem  Rücken zu ihr auf die Parkbank. Sie wusste längst, dass die Kinder in den Bäuchen ihrer Mütter heranwuchsen.  Aber diese Tatsache, hatte nichts mit dem Mittelpunkt der Welt zu tun.  Es war bloß die Stelle mit dem meisten Platz dafür.   

Inzwischen hatte ihr Zeigefinger den tiefsten Punkt des Bauchnabels erkundet. Der wulstige Krater, der sich in ihm verbarg, hatte nichts Großartiges an sich.
Ganz und gar nicht fühlte er sich wie der Mittelpunkt der Welt an.

Mit Mühe unterdrückte sie das Verlangen ihres Zeigefingers, aus dem Pullover hervorzuschießen und sich gegen die Stirn zu tippen.  

„Wer seine Herkunft verleugnet, verliert sich am Ende ganz.“, beharrte die Großmutter.

Als Beweis diente ihr die Geschichte eines Seiltänzers, dessen Wagemut seine Zuschauer begeisterte.

„Niemand anderer bewegte sich mit größerer Leichtigkeit auf dem Seil.“, schwärmte Oma Rosa von seiner Kunst.  
„Schwerelos tanzte er über dem Abgrund, der sich unter seinen Füßen auftat. Bis an dem Tag, an dem er zu grübeln begann.  Es genügte ihm nicht mehr, ein Seiltänzer zu sein. Unentwegt blickte er zum Himmel zu den Vögeln hinauf, die hoch in den Lüften ihre Kreise zogen.

„Wäre ich ein Vogel, müsste ich nicht auf einem Seil tanzen.“, beneidete er sie.

Er streckte die Arme zur Seite ahmte ihre Flügelschläge nach.  Die Menschen, die ihn vom Boden beobachteten, schrien auf. Der Seiltänzer begann zu taumeln.  Seine Füße fanden keinen Halt mehr auf dem Seil. Vor aller Augen kippte er aus dem Gleichgewicht und stürzte in sein Verderben.“

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