Seite 174

Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Hilflos musste das Fräulein „So-La-La“ miterleben, wie ihm die gesamte Bibliothek des  Vaters zum Opfer fiel. Welches Buch sie  aus dem Regal zog. An welcher Stelle sie es aufschlug. Überall steckte der Wurm drin.

Mit zittrigen Händen quälte sich das Fräulein „So-La-La“ durch die Bücher. Auf jeder Seite fand sie die gleiche Trostlosigkeit vor, als würde sie durch die leeren Räume eines Hauses streifen, das von seinen Bewohnern Hals über Kopf verlassen worden war. Der Wurm, der ihren Platz eingenommen hatte, blieb stumm wie ein Fisch. Nichts brachte ihn dazu, Auskunft über das Schicksal der verschwundenen Geschichten zu geben.
Weder die Drohung, ihm mit spitzen Fingernägeln zu Leibe zu rücken,  der Versuch, ihn durch heftiges Kitzeln vermochten ihn einzuschüchtern.

Mit stoischer Gelassenheit erduldete er jede Folter, ohne dass ihm ein verräterischer Laut zu entlocken war.    
Angewidert klappte das Fräulein „So-La-La“ den Buchdeckel  zu. Anstatt mit eigenen Augen  zu sehen, was die Geschichten sahen, musste sie mit der Gesellschaft einer fetten Made vorlieb nehmen.      

Zum Schein  mimte sie weiterhin die begeisterte Zuhörerin,  die den Geschichten andächtig an den Lippen hing. Tatsächlich schenkte sie der Handlung keinerlei Beachtung mehr. Ihre ganze Aufmerksamkeit verschwendete sich an Namen, Orten  und Jahreszahlen. Kein Nebensatz durfte mehr übersprungen,  kein Wort mehr verschluckt werden. 

Jede noch so kleine Nachlässigkeit barg das Risiko eine entscheidende  Wegmarke  zu verpassen, die zum Versteck führte, an dem die Geschichten das Beste vor ihr verbargen.  

Innerhalb weniger Wochen agierte sie im Wirrwarr der Fäden, die sich durch die Geschichten zogen, mit der spielerischen Leichtigkeit eines Puppenspielers.
Nie landete eine Prinzessin in den Armen eines  ungeliebten Prinzen. Nie kreuzte ein Entdecker mit seinem Schiff im falschen Ozean. Nie kämpfte sich ein Feldherr durch ein Jahrhundert, das nicht zu seiner Uniform passte.

Fortsetzung SEITE 175