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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Der Zweifel trieb sein teuflisches Spiel mit ihr. Wie konnte sie sicher sein, nicht um das Schönste betrogen zu werden,  solange sie nicht mit eigenen Augen sah, was die Geschichten sahen? Aber wie sollte sie es anstellen, ihnen das  Geheimnis  zu entreißen?  Die Geschichten  waren nicht  mit den Händen zu greifen.  Sie blieben flüchtig wie  das Licht und der Wind.    

Ein Zwischenruf oder ein abschweifender Gedanke reichten aus, um ihre Gunst zu verspielen.  So schnell sie im Kopf zum Leben erwachte, verschwanden  sie wieder, ohne einen Hinweis über ihren Verbleib zu hinterlassen. 
Ehe man sich versah, verlor sich ihre Spur auf Nimmerwiedersehen zwischen den Buchseiten.  Ihnen zu folgen, glich dem Versuch, gackernden Hühnern nachzujagen, die in alle Richtungen  auseinander flatterten.

Die Mutter entlockte den Büchern wunderbare Geschichten, in denen gelacht, geweint oder gestritten wurde. Die Seiten waren voller Abenteuer und Leben.  Sobald das Fräulein „So-La-la“ in ihnen blätterte, verklumpte sie zu einem stummen Papierhaufen, dem nicht das Geringste zu entlocken war.

Anstelle der Geschichten grinste ihr ein fetter Wurm entgegen. Der merkwürdige Bewohner zeigte keinerlei Anstalten  vor ihren bohrenden Blicken Reißaus zu nehmen. Seelenruhig döste er  vor sich hin, als wäre  er an unerwarteten Besuch gewöhnt.  

In langen Schlingen wühlte sich der Wurm  von Seite zu Seite durch das gesamte Buch. In seinen Einzelteilen bestand er aus winzigen Zeichen, die sich in beliebiger Reihenfolge wiederholten.
Seine  gigantische Länge  zwang den Wurm  auf  kleinstem Raum zu hausen. Trotz der beengten Verhältnisse gedieh er prächtig.

Die größten Exemplare beanspruchten nicht selten hunderte Seiten, bis man sie von vorne bis hinten durchgeblättert hatte. Das ungebremste Wachstum des Wurmes machte aus Büchern dicke Wälzer.
Was zuerst wie ein lästiges Ärgernis aussah, spitzte sich bald dramatisch zu.  Der Wurmbefall nahm ein erschreckendes Ausmaß an.

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