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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Während die einen ihr Schneckentempo beklagten, raste sie den anderen in wilder Fahrt davon.   
In Wahrheit stimmte das eine und das andere nicht.  Wer sollte es besser wissen  als die Großmutter des Fräulein „So-La-La“.
Sie war beinahe so alt wie die Zeit.  Denn niemand  konnte sich an eine Welt ohne sie erinnern.  
Keiner wusste die Zeit besser zu beschreiben als sie.

„Sie ist der dünne Faden, aus dem alle Dinge gestrickt sind.“, sagte die Großmutter.
„Es spielt keine Rolle, was etwas ist. Oder was es behauptet zu sein. Am Schluss läuft alles wieder zu dem dünnen Faden auseinander, der es immer gewesen war.“

Die Großmutter redete mit der Gelassenheit eines Menschen, der vieles kommen und wieder verschwinden gesehen hatte.
Für sie war die Zeit in ihrem Kern weder gut noch böse. Denn ihr Appetit machte keine Unterschiede und kannte keine Vorlieben.

Die Zeit fraß die Jungen und die Alten. Sie fraß die Reichen und die Armen. Und sie fraß auch die Schönen und die Hässlichen.   
Manchmal landeten die Hinterlassenschaften ihrer Mahlzeit   in den Vitrinen der Museen. Mit geduckten Köpfen schlichen die Menschen an den alten  Knochen und Scherben vorbei und erschauderten vor den scharfen Zähnen des Jägers, der auch ihnen im Nacken saß.

„Die Geduld der Zeit ist endlos.“, sagte die Großmutter.
„Gegen ihre Macht gibt es keine Mittel.“,

Das Herz in der Brust des Fräulein  „So-La-La“  schlug in der Lautstärke einer Trommel. Es war nicht der unbarmherzige Zahn der Zeit, der ihr Furcht einflößte. Bei einem Mädchen, dessen Alter sich an den Fingern einer Hand abzählen ließ, vermochte er noch nicht viel Unheil anzurichten. Die  Vergangenheit war vergangen.  Und die Zukunft lag in weiter Ferne.

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