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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Die Liebe des Lebens

Es ist nichts Ungewöhnliches daran, sich  nachts mit dem Mond zu unterhalten. Es erscheint auch niemandem seltsam, im Wasser eines kleines Teiches das eigene Gesicht wie im Spiegel zu sehen.

Was diese Geschichte außergewöhnlich macht, ist die Tatsache, dass der Mond plötzlich auf die Fragen  antwortete,  die man ihm stellte.  Und im Wasser des Weihers etwas auftauchte,  das die Sehnsucht aller Menschen widerspiegelte.

Wem die Stimme gehörte, die mit dem Mond sprach, bleibt im Ungewissen. Manche wollen die schmale Silhouette eines Mädchens ausgemacht  haben. Andere glauben,  das scharfe Profil eines Jungen erkannt zu haben. 
Ebenso wenig  lassen sich Rückschlüsse auf  Alter und Herkunft ziehen. Die Dunkelheit kennt kein Alter und keine Hautfarbe.

„Ich habe die Liebe meines Lebens verloren.“, klagte die Stimme dem Mond.

„Das ist traurig.“, antwortete der Mond.

„Ich bin oft enttäuscht worden.“, zog die Stimme eine bittere Bilanz.

„Die Liebe läuft auf einem Rad, das sich von oben nach unten und von  unten nach oben dreht“, versuchte der Mond, die Stimme zu trösten.

„Ich glaube nicht mehr daran.“,  seufzte die Stimme traurig.

Solche Geschichten hatte der Mond schon oft gehört. Was ihn dazu bewegte, in dieser Nacht einen Stern zu bitten, über dem  kleinen Weiher zu leuchten, lässt sich nicht erklären.
Vielleicht rührte ihn die Traurigkeit der Stimme. Vielleicht war es bloß eine Laune, der er nachgab.
Er forderte die Stimme auf, an das Ufer des von hohen Bäumen umwachsenen Tümpels zu treten.

„In ihm wirst du finden, was dir verloren scheint.“, versprach der Mond.

Die Stimme blieb lange stumm.

„Das Wasser spiegelt nur mein eigenes Bild.“,  lautete am Ende ihre Erkenntnis.

Die Enttäuschung darüber war nicht überhören.

„Dann hast du die Liebe deines Lebens endlich  gefunden.“, antwortete der Mond.

„Ich bin es selbst?“, zeigte sich die Stimme überrascht.

„Wer sollte es sonst sein?“,  antwortete der Mond und zog sich hinter einer dunklen Wolke zurück. 

Wie das Fräulein „So-La-La“ findet ein Herz

Nachdem der Widersacher um die Gunst der Großmutter vertrieben war, verlor das  Fräulein „So-La-La“  das Interesse an ihrem Milch- und Zuckerhandel.

Beinahe wäre die Rezeptur, die ihre schwergewichtige Großmutter wie eine Feder schweben lassen und den klapprigen Puppendoktor in einen kraftstrotzenden Jüngling verwandelt hatte, in Vergessenheit geraten.

Erst ein laustarker Streit zwischen ihren Eltern brachte sie wieder in Erinnerung.
Dem Fräulein „So-La-La“ genügte ein Blick in die Vorratskammer, um die wahre Ursache für die Meinungsverschiedenheit festzustellen. Breitbeinig stellte sie sich zwischen die Streithähne und stemmte die Arme in die Hüfte.

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