
Nach einer Unzahl verlegener Blicke fasste sich der Puppendoktor ein Herz. Er beugte sich nach vor und drückte der Großmutter einen Kuss auf die Wange.
Ohne ein erklärendes Wort hinzufügen, drehte er sich um die eigene Achse und eilte mit dem Schwung eines leichtfüßigen Tänzers die Stufen hoch. Bevor er im Treppenbogen verschwand, warf er eine Kusshand nach der Großmutter.
„Wenn ihre Zuckerdose wieder leer ist, helfe ich gerne aus.“, empfahl er sich.
„Es steht immer ein Glas Milch für Sie im Kühlschrank bereit.“, rief ihm Oma Rosa hinterher, bevor sie blumenbekränzt zu ihrer Wohnungstür schwebte.
Es war der Moment, in dem das Fräulein „So-La-La“ unsichtbar wurde und die Großmutter ihr die Tür vor der Nase zuschlug.
Der Vorfall im Stiegenhaus hatte auch etwas Gutes. Er setzte dem Zuckermangel in der Küche ein jähes Ende. Die Regale bogen sich plötzlich unter den hastig angeschafften Zuckersäcken.
Als der Puppendoktor am nächsten Tag an der Tür läutete, um eine Tasse Milch auszuborgen, stieß er auf eine eiserne Miene. Mit der brüsken Bemerkung, sie würde keine Milchbar betreiben, lehnte die Großmutter sein Ansinnen ab. Ehe der verdutzte Puppendoktor etwas erwidern konnte, flog die Tür vor ihm ins Schloss.
Das Fräulein „So-La-La“ hatte die Szene im Rücken der Großmutter verfolgt. Die Schadenfreude stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Nun bekam der Puppendoktor am eigenen Leib zu spüren, wie es sich anfühlte, allein durch das Stiegenhaus zu irren.
Begeistert klatschte sie sich mit der Großmutter ab. Oma Rosa lächelte. Aber ihre Augen sagten etwas anderes.
Zwischenspiel
„Auf meiner Reise habe ich gelernt, dass meine Eifersucht auf den Puppendoktor falsch war.“, sagte die Geschichte, die an meiner Bettkante saß.
„Ich musste erst die Liebe meines Lebens kennenlernen, um zu begreifen, dass ein Herz größer wird, wenn man es mit anderen teilt.“
Ich zog neugierig die Augenbrauen hoch.
„An welchem Ort bist du der Liebe deines Lebens begegnet?“, fragte ich neugierig.
Die Geschichte lächelte.
„Man muss keinen Ort suchen, um ihr zu begegnen.“, antwortete sie.
„Denn ist sie immer da. Man muss sie nur sehen.“
Sie beugte sich über die Mappe und zog ein neues Blatt heraus.