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Die Reise des Fräulein „So-La-La“

Die leere Zuckerdose  lieferte der Großmutter den Vorwand, die Bekanntschaft mit dem Puppendoktor zu vertiefen. Aus dem gleichen Grund vergaß  der Puppendoktor ständig, frische  Milch einzukaufen.  

Wenn die Großmutter keinen Zucker von ihm borgte, dauerte es nicht lange, bis er mit einem leeren Milchkännchen an der Tür stand.

Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich  zwischen beiden ein reger Tauschhandel, der sich vordergründig um Milch und Zucker drehte.

Das Fräulein „So-La-La“ beäugte die gegenseitigen Besuche an der Wohnungstür mit zunehmender Sorge. Eifersüchtig meldete sie ihre Beobachtung an die Mutter. Ihre Erwartungen wurden enttäuscht. 

Die Mutter sah keine Veranlassung, dem  Milch- und Zuckerhandel der Großmutter einen Riegel vorzuschieben.

„Ein bisschen Zucker schadet ihr nicht.“, lachte sie.

Der Vater zeigte auch wenig Interesse, sich in die Geschäfte der Großmutter einzumischen.

„Die Milch, die sie ihm schenkt, entschädigt ihn für die Zeitung, die ihm die alte Hexe jeden Morgen stiehlt.“,  spielte er auf die morgendliche Beutezüge der Großmutter an.

Niemand begriff,  wie ernst die Lage war. 

Das Fräulein „So-La-La“ musste erst unsichtbar werden, um die Großmutter wieder zur Vernunft zu bringen. Dass sie im Treppenhaus dem Puppendoktor begegnete, war kein Zufall. Genauso wenig wie er den Blumenstrauß zufällig in der Hand hatte, den er der Großmutter unter die Nase hielt.  Seine Stimme rauschte wie ein falsch eingestelltes Radio. Die Großmutter seufzte entzückt. Ein dunkles Rot schoss in ihre Wangen. Verschämt zupfte sie an ihren Haaren.

Während  die Großmutter und der Puppendoktor nur noch Augen füreinander hatten,  verschwand das Fräulein „So-La-La“  langsam aus der Welt.  

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