In der gleichen Nacht brachte der Bär kein Auge zu. Er hämmerte hunderte Sätze in die Tastatur. Kaum leuchteten sie auf dem Bildschirm auf, drückte er die Löschtaste. Keine einzige Zeile entsprach seinen Erwartungen.
Im Fenster dämmerte bereits der Morgen heran. Noch immer hatte der Bär keine Antwort auf die Herausforderung des Drachen gefunden.
Die Niederlage vor Augen glitt sein Blick über das Bücherregal neben seinem Schreibtisch. Verschwommen nahm er auf einem Buchumschlag eine Gestalt wahr. Es war ein geflügelter Engel, der von einer Wolke aus schelmisch zuzwinkerte.
Im gleichen Augenblick explodierte ein Gedanke in Kopf des Bären.
Wie Puppen die auf unsichtbaren Fäden hingen, tanzten seine Finger über der Tastatur. Was ihnen eine Nacht lang misslungen war, floss nun in wenigen Minuten aus ihnen heraus, ohne ein einziges Mal ins Stocken zu geraten.
Alle Müdigkeit war verflogen, als der Bär den Zeilen mit seiner Stimme Leben einhauchte.
„Ihre Hände fühlten sich unvergleichlich warm und weich an,
und in ihrer Stimme schwang ein Ton Unendlichkeit.
Aus Gläsern mischten wir unser Blut mit Wein.
Dann geschah, was ich nie vergesse.
Sie küsste mich auf den Mund
und blieb auch für den Rest der Nacht.
Als ich auf mich zu ihr legte, tat es ihr am Rücken weh,
und sie blickte mich mit traurigen Augen an.
Da dachte ich zum ersten Mal:
Es ist nicht leicht, mit einem Drachen zu schlafen.
Ihre Haut war von wunderbarem Weiß
und ihr Fleisch bog sich leicht.
Sie bot mir alles, dass ich nichts vergaß zu nehmen.
Ihre Lust war still und tief.
Als ich sie nach den Narben auf ihrem Rücken fragte,
die ich mit den Händen fühlte, begann sie zu weinen:
Da dachte ich zum zweiten Mal:
Es ist nicht leicht, mit einem Drachen zu schlafen.
Ich liebte sie,
bis der Schlaf sie mir im Morgengrauen aus den Armen nahm.
Als ich erwachte, war sie schon gegangen,
Geblieben ist mir nicht mehr von ihr als eine kleine Feder.
Sie lag auf dem Boden unter dem Bett.
Obwohl ich ahnte, dass es eine Daune aus einem Kissen war,
dachte ich für mich:
„Hier haben seine Flügel gelegen in der Nacht,
als ich mit einem Drachen schlief.“
Mit dem Blick eines erschöpften Bildhauers, der einem widerspenstigen Granitblock eine Form gegeben hatte, betrachtete der Bär sein Werk. Da und dort setzte er noch kleine Korrekturen. Dann schickte er mit der Entertaste die Zeilen an den Empfänger.
Die Antwort des Drachen folgte prompt:
Ich ziehe meinen Hut vor Dir. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass ein Drache kein Federkleid am Rücken trägt.
Der Bär schrieb:
Ich hatte einen Engel im Kopf.
Der Drache antwortete (mit einem Augenzwinkern):
Und einen Drachen vor Augen.
Der Bär schrieb:
Ich musste mich entscheiden.
Der Drache antwortete:
Armer Bär, der von einem Engel träumt und einen Drachen lieben muss.
Der Bär schrieb:
Wer ist nun der Sieger von beiden?
Der Drache antwortete:
Ich schlage ein Unentschieden vor. Die Fliege hängt tot im Netz. Und der Drache scheint mir aus dem Bett geflüchtet zu sein.
Der Bär schrieb:
Die Liebe scheint uns wenig zu glücken.
Der Drache antwortete:
Zumindest etwas, das Drachen und Bären gemeinsam haben
ENDE.