Die Schönheit im Spiegel

Ein junger Pfau stand an einem Teich  und entfaltete sein Federkleid. In prächtigen Farben spiegelte es sich auf der Wasseroberfläche.
Stolz reckte der Pfau seinen Kopf und sonnte sich in seinem Spiegelbild.
„Was bin ich für ein herrliches Geschöpf. Alle Welt soll sehen, wie schön ich bin.“,  dachte er und spreizte sein Gefieder für die Fische im Wasser zu einem Rad.
Von hinten schlich sich ein Fuchs heran. Es war ein altes Tier. Sein linkes Hinterbein lahmte. Der Hunger hatte ihn dürr werden lassen.
Gierig starrte er auf das junge Fleisch des Pfaus.
„Niemals habe ich ein schöneres Federkleid gesehen.“, schmeichelte er ihm.
„Wie recht Du hast.“, höhnte der Pfau und musterte den Fuchs abschätzig.
Er zeigte keinerlei Furcht vor ihm. Von einem Jäger, der auf einem Bein hinkte und dessen Fell grau und verlaust war, drohte keine Gefahr mehr.
So dachte der Pfau in seinem Hochmut und stolzierte  vor dem hungrigen Fuchs  auf und ab, um ihn mit seiner unerreichbaren Pracht zu demütigen.
Der Fuchs bestärkte den Pfau in seinem Glauben und zog  unterwürfig den Schweif ein. Mit geduldigem Charme umgarnte er das eitle Federtier.
„Warum vergeudest Du Deine Zeit an diesem Tümpel. Er ist kein würdiger Spiegel für Deine Schönheit“, stichelte der alte Fuchs.
Unsicher beäugte der Pfau sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, über die eine leichte Brise strich. Im Wellengang des Windes, wirkte es etwas verschwommen.
Listig sprach der Fuchs.
„Ich kann dich zu einem Spiegel führen, der Deine Vollkommenheit im hellsten Licht erstrahlen lässt. Er ist aus Glas  und hängt in meinem Bau. Komm mit mir und die Welt wird  vor Neid erblassen, wenn sie dich in diesem Spiegel sieht.“
Die verführerischen Worte ließen den  Pfau alle Vorsicht vergessen. Die Eitelkeit war stärker als sein Instinkt. Allzu gern gab er der Versuchung nach.  Seine  Schönheit hatte einen besseren Spiegel verdient als  das Wasser eines schlammigen Weihers.
Hilflos mussten die Fische mitansehen wie der Pfau auf den Vorschlag des Fuchses einging und ihm in den Wald folgte.
Nie wieder sollte sich sein farbenfrohes Federkleid in ihrem Wasser spiegeln.
Denn kaum war der Pfau in den engen Fuchsbau geschlüpft, sah er sich in schwarzer Dunkelheit gefangen. Vergeblich suchte er nach dem  Spiegel, der seine Pracht zum Strahlen brachte. Stattdessen spürte er die scharfen Zähne seines Verführers am Hals.
Der Fuchs fraß sich eine Nacht lang an ihm satt. Am nächsten Morgen erinnerte nur noch ein blutiges Federkleid an die Schönheit des Pfaus.
Aber es lag in einem dunklen Fuchsbau, und kein Spiegel zeigte es der Welt.

ENDE.