„Von Bären und Drachen“ – Eine Liebesgeschichte, die es nie gegeben hat, weil Bären und Drachen einander nicht lieben (können)

Der Bär und der Drache ist keine Kindergeschichte. Es ist auch keine Tiergeschichte. Vielmehr steht sie für die Begegnung von Menschen, die auf den ersten Blick nicht zusammen passen.
Bären und Drachen lassen sich in vielen Varianten finden. In der Hautfarbe. In der Religion. In der Nationalität. In der Sprache.
Die Stolpersteine, die sich der Begegnung zweier Menschen in den Weg stellen, lassen sich beliebig erweitern. Um das Geschlecht. Um das Alter. Oder um den Familienstand.
Dazu addieren sich noch tausende andere große und kleine Eigenheiten, die jeder in sich trägt und ihn in den Augen seines Gegenübers als Bär oder Drache erscheinen lassen.
Mit großer Wahrscheinlichkeit stößt jeder Mensch zumindest einmal in seinem Leben auf einen Bären oder Drachen, der ihn dazu zwingt, eine Entscheidung zu treffen. Und niemand kann im Voraus mit Sicherheit sagen, welchen Verlauf eine solche Begegnung nimmt.
In diesem Sinn erscheint die Geschichte, die vordergründig von einem Bären handelt, der einem Drachen über den Weg läuft, zutiefst menschlich.


Wie alles begann.

Den Anfang machte ein kleines Bild, das eine Freundin schickte. Es zeigte zwei Stofftiere auf ihrer Couch.
Darunter schrieb sie die Zeile: „Sind sie nicht ein entzückendes Paar“. 
Der Satz war insofern bemerkenswert, weil er so gar nicht auf das Pärchen zutraf, das sie auf ihrer Couch sitzen hatte.
Ein zotteliger Teddybär in einem grellbunten Pullover schmiegte sich  an einen kleinen Drachen mit spinatgrüner Haut.   Von ihrer äußeren Erscheinung hätten die beiden nicht unterschiedlicher sein können.
Es war schwer, wenn nicht gar unmöglich, eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen zu finden.  Trotzdem hatten der Bär und der Drache aneinander Gefallen gefunden.  Das heißt nicht, dass der Bär ein hässliches Tier war und kein anderer Bär ein wohlwollendes Auge auf ihn geworfen hätte.  Es sagt auch nichts über die Schönheit des Drachen unter Seinesgleichen aus.
Das Besondere lag darin, dass sie die Grenzen, die ihnen durch ihre äußerliche Natur auferlegt worden war, überwunden hatten.  Ihre Leidenschaft füreinander war der Auslöser dafür, eine Geschichte zu erzählen, wie sie sich gefunden haben (könnten).

Es gibt drei verschiedene Arten von Geschichten.  Das erste sind Geschichten, die gerade passieren oder passiert sind.  Das zweite sind Geschichten, von denen es wahrscheinlich oder zumindest möglich ist, dass sie eines Tages geschehen.  Und das dritte sind Geschichten, die niemals wahr werden.
Die Geschichte von dem Bären und dem Drachen gehört wahrscheinlich zu den Letztgenannten.  Es ist eine Liebesgeschichte, die es nie gegeben hat und die es nie geben wird, weil Bären und Drachen, nicht dafür geschaffen sind, einander zu lieben.

Aber das Beste wird sein, die Geschichte für sich selbst sprechen zu lassen. Und vielleicht stimmt es, was man den Geschichten nachsagt.  Dass sie wie das Leben sind.  In ihrem Anfang unbestimmt. Und im Ende unabsehbar.
Diese Unberechenbarkeit könnte dem Bären und dem Drachen die Hoffnung schenken, dass ihre Geschichte eines Tages doch passieren kann.

Wels, im Juni 2020