Der Bär und der Drache verbrachten einen heiteren Tag. Am Abend trafen sie sich auf einer Terrasse mit Freunden. Es war einer der wenigen Orte, an denen Drachen und Bären gemeinsam feierten.
Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Gläser klirrten. Das Gelächter der Feiernden verhallte in einem strahlend blauen Himmel. Fotografen schwirrten herum und schossen Bilder von dem bunten Treiben.
Der Bär strahlte vor Freude. Der Drache lachte. Der Abend dauerte lange.
Als sich der Himmel dunkel verfärbte, verlor der Bär alle Bedenken. Er umarmte den Drachen vor allen anderen. Schlagartig verstummte das Stimmengewirr. Die Köpfe drehten sich nach ihnen um. Gemurmel wurde laut.
Der Bär schenkte ihnen keine Beachtung.
Der Drache blickte besorgt.
„Es gefällt ihnen nicht, was sie sehen.“, sagte er und löste sich aus der Umarmung des Bären.
„Ich sehe die Dinge, wie sie sind.“, lachte der Bär und prostete den Umstehenden zu, die ihn angafften.
Der Satz lockte einen alten Graubären heran. Er konnte sich vor Trunkenheit kaum noch auf den Beinen halten. Neugierig beschnüffelte er den Drachen. Dann wandte er sich dem Bären zu. Er grinste ihm ins Gesicht.
„Du siehst die Dinge nicht, wie sie sind.“, lallte er und wankte davon.
Der Bär blickte ihm nachdenklich nach. Der Kellner brachte ihm ein neues Glas. Der kalte Wein im Mund verscheuchte die Worte des betrunkenen Graubären aus seinem Kopf.
Die ausgelassene Stimmung kehrte zurück. Der Bär und der Drache verloren sich in einem spielerischen Zank.
Weit nach Mitternacht flohen sie mit den letzten Gäste auf die leeren Straßen.
Auf einer Brücke blieben sie stehen und umarmten sich.
„Wir haben eine Brücke gefunden, die einen Bären mit einem Drachen verbindet“, lachte der Bär.
„Wir sollten uns jetzt küssen.“
„Warum sollten wir das tun?“, fragte der Drache.
„Damit wir die Brücke eines Tages wieder finden, die uns miteinander verbunden hat.“, antwortete der Bär.
„Dann sollten wir es tun.“, erwiderte der Drache.
Am nächsten Tag erschienen die Zeitungen mit den Bildern der Feier.
Der Drache kabelte eines der Bilder an den Bären.
Es zeigte sie Seite an Seite im Kreis ihrer Freunde.
„Das erste gemeinsame Bild.“, schrieb der Drache darunter.
Der Bär betrachtete es nachdenklich.
Er erinnerte sich wieder an die Worte des betrunkenen Graubären.
Auf dem Bild lachte ihm die Gestalt eines Bären entgegen, der einen dunklen Schatten auf einen Drachen warf.
Zum ersten Mal sah er die Dinge, wie sie wirklich waren.
„Wir stehen uns an verschiedenen Ufern gegenüber.“, schrieb er an den Drachen zurück.
Die Antwort des Drachen erfolgte umgehend.
„Das hat keine Gültigkeit mehr. Wir haben eine Brücke gefunden, die uns verbindet.“
Der Bär schrieb zurück.
„Die Brücke gibt es nicht mehr. Das Bild hat sie zum Einsturz gebracht.“
Augenblicke später läutete das Telefon. Der Bär drückte die Taste.
„Was ist passiert?“, bellte die aufgeregte Stimme des Drachen aus dem Lautsprecher.
Der Bär blieb stumm. Er betrachtete das Bild, das ihm der Drache geschickt hatte.
Endlich fand er die Worte, nach denen er suchte.
„Der alte Graubär hatte recht.“, sagte er.
„Ich sehe die Dinge nicht, wie sie sind.
Seine Stimme zitterte.
„Du bist viel zu schön für einen Bären.“
Dann legte er das Telefon aus der Hand.